Januar 2025: Pädagogische Hochschule Heidelberg
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Organisiert wurde die Veranstaltung durch die Abteilungen Gebärdensprachdolmetschen sowie Hören & Kommunikation mit Unterstützung des Landesarbeitskreis des BDH Hessen sowie der Stiftung Pro Kommunikation in Baden-Württemberg.
Auf die Eröffnung durch die Organisator:innen Markus Fertig, Prof. Dr. Uta Benner und Prof. Dr. Johannes Hennies folgten Grußworte von Ralph Raule (Präsident des Deutschen Gehörlosenbund e.V.), Christiane Stöppler (Bundesvorsitzende des Berufs- und Fachverbands Hören und Kommunikation) und Ulla Klinkhart (Berufsfachverband der GebärdensprachdolmetscherInnen Baden-Württemberg e.V.). Sie betonten die Relevanz der Diskussion über den Zugang zu Bildung für taube Schüler:innen mittels GSD. Dies betreffe nicht nur die Zugänglichkeit von Bildungsinhalten, sondern auch die soziale Teilhabe und der Austausch mit Gleichaltrigen – ein Aspekt, der an Regelschulen für taube Schüler:innen oft schwer umzusetzen ist. Im Laufe des Fachtags wurden die verschiedenen Perspektiven der Akteur:innen im Bildungsprozess beleuchtet, angefangen bei den GSD über die Lehrkräfte bis hin zu den Eltern und den Schüler:innen selbst. Diese Interessensgruppen fanden sich sowohl auf dem Podium als auch unter den Gästen wieder.
Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Uta Benner: „GSD Macht Schule“
Ein Höhepunkt des Fachtages war die Antrittsvorlesung „GSD Macht Schule“ von Prof. Dr. Uta Benner. In ihrer gemäß dem Titel dreiteiligen Präsentation beleuchtete sie die vielschichtigen Herausforderungen und die Machtaspekte des Gebärdensprachdolmetschens im schulischen Kontext. Dabei machte sie gleich zu Beginn auf einen wichtigen Aspekt des Dolmetschens aufmerksam: den inhärenten Nachteil für Anspruchnehmer:innen eines Dolmetschprozesses. Sie wechselte mitten im Vortrag von Deutscher Gebärdensprache (DGS) zur Deutschen Lautsprache und erläuterte, dass dieser Wechsel immer einen kleinen Nachteil für die jeweilige Zielgruppe der Verdolmetschung mit sich bringe – sei es die Gruppe, die in DGS rezipiert, oder die Gruppe, die in Lautsprache teilnimmt.
Was bedeutet es, Gebärdensprachdolmetscher*in (GSD) zu sein? Prof. Benner stellte humorvoll verschiedene Interpretationen des KI-Tools ChatGPT zum Akronym GSD zur Diskussion, wie „Getting Stuff Done“, „Großes Sächsisches Wörterbuch“ und „German Shepherd Dog“ und öffnete so die Frage der Selbstbezeichnung eines Berufsstandes, eines Fachbereichs, und dem zugrundeliegenden Selbstverständnis, das sich im Wandel befindet. Prof. Benner sprach über die großen Herausforderungen, die das Simultandolmetschen an GSD stellt: Äquivalenz, Zielgruppenangemessenheit, Zeitverzögerungen sowie die Anpassung von Sprache und Sprachmodalität. Das Dolmetschen im schulischen Kontext sei von zusätzlichen Anforderungen geprägt, wie der sozialen Teilhabe von tauben Schüler:innen, gerade in Situationen außerhalb des Klassenzimmers oder unscharfen Aufgaben- und Rollenvorstellungen von GSD in diesem Setting.
Im zweiten Teil ihrer Vorlesung widmete sich Prof. Benner dem Thema „Macht“. Sie erklärte, dass Dolmetschende gegenüber tauben Anspruchnehmer:innen über mehr Macht verfügten, obwohl ihre Tätigkeit in der Sicherung kommunikativer Teilhabe bestehe: „GSD sind für taube Menschen sowohl autonomieförderlich als auch abhängigkeitsstiftend“, so Benner. Dieses Spannungsfeld zwischen Autonomie und Abhängigkeit sei ein zentrales Thema im Berufsfeld der GSD. Sie führte weiter aus, dass die Beziehung zwischen Dolmetschenden und tauben Menschen eine wechselseitige Abhängigkeitsbeziehung darstelle. Dabei gehe es darum, diese Abhängigkeiten nicht kleinzureden, sondern verantwortungsbewusst und reflektiert mit den Machtverhältnissen umzugehen.
Abschließend diskutierte Prof. Benner die Herausforderungen des Dolmetschens im schulischen Kontext. Sie betonte, dass nicht jedes Problem dadurch gelöst werden könne, dass „die Dolmetschenden besser werden“. Es gebe zwar durchaus Bedarf an Weiterentwicklung und Ausbildung, doch genauso wichtig seien strukturelle Veränderungen in der Versorgungssituation für taube Schüler:innen. „Kommunikation ist der Schlüssel“, zitierte sie ihren Kollegen Markus Fertig und forderte einen kontinuierlichen Austausch und eine Vereinbarung von Rollen und Verantwortlichkeiten zwischen GSD, Lehrkräften und Schüler:innen.
Interaktive Interviewrunden und Impulsvorträge
Nach der Antrittsvorlesung fanden drei Interviewrunden statt, die verschiedene Perspektiven aus der Praxis beleuchteten. Das erste Interview widmete sich der Perspektive von Eltern und Schüler:innen. Besonders beeindruckend war die Offenheit der Schüler:innen, die ihre Erfahrungen und Herausforderungen in der Schule teilten. Die Eltern berichteten von großen Hürden bei der Beantragung und langfristigen Sicherstellung der Kostenübernahme von GSD in der Schule. Im zweiten Interview wurde die Perspektive der Dolmetscher:innen thematisiert, gefolgt von der dritten Runde, in der Lehrer:innen zu Wort kamen. Diese Gespräche gaben wertvolle Einblicke in die praktischen Herausforderungen und die Bedürfnisse der verschiedenen Akteur:innen im schulischen Alltag.
Der Nachmittag wurde mit zwei Impulsvorträge eingeläutet. Dr. Vera Kolbe, Geschäftsführerin des Instituts für Sonderpädagogik an der PH Freiburg, stellte in ihrem Vortrag „Interpreter mediated deaf education in primary schools – Inklusionserleben und Partizipation?“ das Erasmus+-Forschungsprojekt IDE vor, das sich mit den Herausforderungen der Inklusion und Partizipation von tauben Schüler:innen an Grundschulen beschäftigt. Sie betonte die Notwendigkeit einer besseren Vorbereitung von GSD und Lehrkräften auf die Bedarfe tauber Schüler:innen im Unterricht und berichtete von der Entwicklung geeigneter Lehr- und Lernmaterialien, um die visuelle Zugänglichkeit zu verbessern und soziale Partizipation zu fördern. Kolbe identifizierte zudem verschiedene Herausforderungen wie die fehlende direkte Kommunikation zwischen Lehrkräften und tauben Schüler:innen. Sie sprach sich für „Gruppeninklusion“ aus, bei der nicht ein einzelnes Kind, sondern mehrere taube Schüler:innen in einer Klasse gemeinsam an Regelschulen unterrichtet werden.
Juliane Rode beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit den Herausforderungen und Handlungsstrategien von GSD im Schulalltag. Sie erläuterte, wie Dolmetscher:innen den Dolmetschprozess an die spezifischen Anforderungen des Unterrichts anpassen müssen, um den Schüler:innen einen effektiven Zugang zu den Unterrichtsinhalten zu ermöglichen, ohne die sozialen und interaktiven Barrieren zu verstärken. Rode stellte erste Ergebnisse ihrer Dissertation vor, in der sie mithilfe von Konversationsanalyse und detaillierten Sequenzanalysen von Videodaten die sprachlich-kommunikativen Praktiken von GSD im Schulsetting untersucht.
Plenumsdiskussion und Arbeitsgruppen
Nach einer Kaffeepause wurden die in der Mentimeter-Abfrage gesammelten Fragen im Plenum diskutiert, etwa zu Themen wie die Grenzen inklusiver Beschulung oder den Umgang mit unterschiedlichen Sprachlevels von Schüler:innen mit Hörbehinderung. Im Anschluss vertieften die Teilnehmenden die folgenden Themen in fünf interdisziplinären Arbeitsgruppen: Organisation, pädagogische und didaktische Fragestellungen, Herausforderungen im Dolmetschprozess sowie Dolmetschen an sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren.
Nach den Berichten aus den Arbeitsgruppen endete der Fachtag mit einer Zusammenfassung mittels eines Graphic Recordings durch Sven Bleckmann. Markus Fertig schloss den Fachtag mit einer Feedbackrunde und bedankte sich bei den Beteiligten, insbesondere auch bei der Fachschaft für das Engagement. Insgesamt wurde der Fachtag mit 130 Teilnehmer:innen als voller Erfolg gewertet. Es war ein wichtiger Schritt, verschiedene Interessensgruppen zusammenzubringen und gemeinsam zu diskutieren. Dennoch blieb stellenweise nicht genug Zeit für einen umfassenden Austausch, weshalb bereits Folgeveranstaltungen zu diesem Thema geplant sind.
Text: Anika Loidl-Wunder, Foto: Fachschaft GSD