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Interdisziplinäre Arbeit an hochgenauen Messungen setzt neue Grenzen für dunkle Kräfte

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/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /

Atom-, Kern- und Teilchenphysiker suchen gemeinsam nach neuer Physik und öffnen ein neues Fenster zur Kernstruktur

Wenn sich weltweit führende Teams zusammentun, sind neue Erkenntnisse vorprogrammiert. Das war der Fall, als Quantenphysiker:innen des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig mit zwei unterschiedlichen Messmethoden Atom- und Kernphysik mit bahnbrechender Genauigkeit miteinander kombinierten. Zusammen mit neuen Berechnungen der Struktur von Atomkernen konnten theoretische Physiker:innen der Technischen Universität Darmstadt und der Leibniz Universität Hannover zeigen, dass man über Messungen an der Elektronenhülle eines Atoms etwas über die Verformung des Atomkerns erfährt. Gleichzeitig setzten die Präzisionsmessungen neue Grenzen für die Stärke einer möglichen dunklen Kraft zwischen Neutronen und Elektronen. (Physical Review Letters, 11.02.2025)

  • Weltweit führende Teams der PTB Braunschweig und des MPIK in Heidelberg bündeln ihre Expertise in der optischen Präzisions-/Massenspektroskopie.
  • Massen und Linienverschiebungen von Ytterbium-Isotopen wurden mit einer um bis zu einem Faktor 100 verbesserten Genauigkeit untersucht.
  • Die Analyse der Daten in Verbindung mit der Atomtheorie setzt neue Grenzen für dunkle Kräfte und liefert neue Erkenntnisse über die Kernstruktur.

Seit fast einem Jahrhundert weisen Messungen darauf hin, dass ein erheblicher Anteil der Materie im Universum aus unbekannter dunkler Materie besteht, die über die Gravitation mit der sichtbaren Materie wechselwirkt. Unklar ist, ob es auch neue, sogenannte „dunkle Kräfte“ gibt, die zwischen der sichtbaren und der dunklen Materie „kommunizieren“ können.

Ein Zugang ist die Präzisionsspektroskopie an Elektronen: Mittels Laserlicht lassen sich bei passender Laserfrequenz Quantensprünge der Elektronen anregen, welche auf ein höheres Energieniveau übergehen und beim Zurückspringen wieder Energie in Form von Licht aussenden. Die genaue Übergangsfrequenz hängt im Detail auch von der Masse des Atomkerns und weiteren Kerneigenschaften ab. Verschiedene Varianten eines Atoms, die sich nur in der Anzahl ihrer Neutronen im Atomkern unterscheiden, heißen Isotope. Seit den Sechzigerjahren ist bekannt, dass diese Unterschiede sich auch in Unterschieden der Übergangsfrequenzen zeigen.

Solche Kräfte müssten auch auf Atome wirken, die man heute mit hoher Präzision untersuchen kann. „Insbesondere die Messung der Verschiebung der elektronischen Resonanzen in Isotopen ist eine besonders leistungsfähige Methode, um das Zusammenspiel von Kern- und Elektronenstruktur zu beleuchten“, erklärt Tanja Mehlstäubler (PTB). Isotope heißen verschiedene Varianten eines Atoms, die sich nur in der Anzahl ihrer Neutronen im Atomkern unterscheiden.

Im Jahr 2020 entdeckte ein Team des Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei der Untersuchung solcher Isotopenverschiebungen im Element Ytterbium eine Abweichung vom erwarteten Ergebnis, eine Nichtlinearität. Dies versetzte die Welt der Atomphysiker*innen in Aufregung: Könnte diese Anomalie der erste Beweis für eine neue „dunkle Kraft“ sein oder ist sie auf Eigenschaften des Atomkerns zurückzuführen? Sind die Atomphysiker*innen durch die Hintertür in die Kernphysik eingestiegen, indem sie die in verschiedenen Isotopen gemessenen Übergangsfrequenzen der Elektronen verglichen haben?

Angetrieben von dieser Frage, machten sich Klaus Blaum (MPIK) und Tanja Mehlstäubler daran, die Ytterbium-Isotopenverschiebungen zu untersuchen. Ihre Forschungsteams führten hochpräzise Messungen der atomaren Übergangsfrequenzen und Isotopenmassenverhältnisse von Ytterbium-Isotopen durch. Die optische Spektroskopie in der PTB erfolgte mit einer linearen Hochfrequenz-Ionenfalle und ultrahochstabilen Lasersystemen. Am MPIK wurden die Isotopenmassenverhältnisse im Penning-Fallen-Massenspektrometer PENTATRAP bestimmt. Beide Messungen waren bis zu hundertmal genauer als bisherige Messungen dieser Art.

Die Forschenden bestätigten die Anomalie. Das Team konnte diese mit neuen kerntheoretischen Berechnungen der Gruppe von Achim Schwenk an der TU Darmstadt erklären und gemeinsam mit theoretischen Atomphysikern am MPIK in Heidelberg und der University of New South Wales in Sydney sowie Teilchenphysikerinnen der Leibniz Universität Hannover eine neue Grenze für die Existenz von dunklen Kräften setzen.

Die internationale Kollaboration konnte mit diesen Daten sogar direkte Informationen über die Verformung des Atomkerns entlang der Ytterbium-Isotopenkette gewinnen. Dies kann neue Einblicke in die Struktur schwerer Atomkerne und in die Physik neutronenreicher Materie liefern, welche die Grundlage für das Verständnis von Neutronensternen bildet.

Ausblickend sagt Klaus Blaum: „Diese Forschung eröffnet der Atom-, Kern- und Teilchenphysik neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit auf der Suche nach neuer Physik und ein besseres Verständnis der komplexen Phänomene, welche die Struktur der Materie bestimmen.“

(ES/PTB, BF/MPIK)


Originalpublikation:

Probing new bosons and nuclear structure with ytterbium isotope shifts
Menno Door, Chih-Han Yeh, Matthias Heinz, Fiona Kirk, Chunhai Lyu, Takayuki Miyagi, Julian C. Berengut, Jacek Bieroń, Klaus Blaum, Laura S. Dreissen, Sergey Eliseev, Pavel Filianin, Melina Filzinger, Elina Fuchs, Henning A. Fürst, Gediminas Gaigalas, Zoltán Harman, Jost Herkenhoff, Nils Huntemann, Christoph H. Keitel, Kathrin Kromer, Daniel Lange, Alexander Rischka, Christoph Schweiger, Achim Schwenk, Noritaka Shimizu and Tanja E. Mehlstäubler
Physical Review Letters 134, 063002 (2025). DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.063002


Weblinks:

PENTATRAP-Experiment am MPIK

QUEST-Forschungsgruppe „Quantum Clocks and Complex Systems“

Gruppe STRONGINT an der TU Darmstadt

Gruppe „Ionic Quantum Dynamics and High-Precision Theory“ am MPIK


Quelle

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