/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /
Mit einem neuen strengen theoretischen Ansatz haben Forschende der MPIK-Theorieabteilung den Ladungsradius von 208Pb-Kernen bestimmt. Die Neuberechnung ergibt einen deutlich größeren Radius und löst damit eine seit langem bestehende Diskrepanz auf.
- Der Ladungsradius Kernen des Blei-Isotops 208Pb wurde mit bisher unerreichter Genauigkeit berechnet und ist deutlich größer als bisher angenommen.
- Der neue Wert löst wesentlich eine seit langem bestehende Diskrepanz in den Daten der Myonen-Spektroskopie.
- Die Untersuchungen liefern einen neuen Maßstab für die Ermittlung von Ladungsradien schwerer Atomkerne.
Kernradien sind grundlegende Maßstäbe in der Physik. Sie dienen als Test für die Theorie von Atomkernen, liefern einen wichtigen Input für die Berechnung von Atomen und Molekülen und sind für Präzisionstests der Quantenelektrodynamik unerlässlich – bis hin zur Suche nach neuer Physik jenseits des Standardmodells. Ein gängiges Maß ist der mittlere quadratische Ladungsradius, der experimentell über die Wechselwirkung mit Elektronen oder Myonen ermittelt werden kann. Das Myon kann als der „schwerere Verwandte“ des Elektrons betrachtet werden.
Als schwerster stabiler Kern ist das Blei-Isotop 208Pb ist besonders wichtig und gilt als einer der am besten verstandenen in der Kernphysik. Sein Ladungsradius wurde mit zwei unabhängigen Methoden gemessen: Elektronenstreuung und Spektroskopie von myonischen Atomen, die jeweils durch mehrere Experimente unterstützt wurden. Bei näherer Betrachtung weisen beide Methoden jedoch Mängel auf: Die Streudaten stimmen nicht miteinander überein, während die traditionelle Anpassung an die Daten der myonischen Atome eine schlechte Qualität aufweist – etwa 200 Mal schlechter als üblicherweise angenommen.
Ein Forschungsteam unter der Leitung von Natalia S. Oreshkina in der Theorieabteilung von Christoph H. Keitel am MPIK hat sich nun dieses langjährigen Rätsels angenommen. Mit einem strengen theoretischen Ansatz in Kombination mit modernsten numerischen Methoden erzielten sie eine zwanzigfache Verbesserung in der Qualität der Anpassung und schlugen einen neuen Wert für den Ladungsradius des Bleikerns vor [1]. Auffallend ist, dass ihr Ergebnis um 3 bis 4 Standardabweichungen größer ist als der heute weithin genutzte Wert, was die Notwendigkeit einer kritischen Neuanalyse unterstreicht. Weitere modellunabhängige Ansätze mit Li-ähnlichen Ionen [2] deuten auf einen noch größeren, wenn auch weniger genauen Wert hin.
Als wichtigstes Ergebnis setzt diese Arbeit einen neuen Maßstab für die Ermittlung der Ladungsradien von schweren Atomkernen. Sie eröffnet ferner den Weg zu systematischen Neuberechnungen über die gesamte Nuklidkarte auf der Grundlage von Myonenspektroskopie, wie kürzlich für 90Zr und 120Sn demonstriert [3].
[1] 208Pb nuclear charge radius revisited: closing the fine-structure-anomaly gap
Zewen Sun, Konstantin A. Beyer, Zoia A. Mandrykina, Igor A. Valuev, Christoph H. Keitel and Natalia S. Oreshkina
Physical Review Letters 135, 163002 (2025). DOI: 10.1103/h3xz-xdxr
[2] Model-independent determination of nuclear charge radii from Li-like ions
V. A. Yerokhin and B. Ohayon
arXiv
[3] Relativistic recoil as a key to the fine-structure puzzle in muonic 90Zr
Konstantin A. Beyer, Igor A. Valuev, Zoia A. Mandrykina, Zewen Sun and Natalia S. Oreshkina
arXiv
Weblinks:
Gruppe ‚Exotic Quantum Systems‘ am MPIK
Abteilung ‚Theoretische Quantendynamik und Quantenelektrodynamik‘ am MPIK
