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Im Gespräch: Pädagogische Hochschule Heidelberg

/ via ph-heidelberg /

Angehende Lehrkräfte für den Umgang mit herausfordernden Situationen vorzubereiten, gehört zum Bildungsauftrag der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Aber auch erfahrene Lehrer:innen haben Gesprächsbedarf zum Thema: Dies zeigte der rege Besuch einer Veranstaltung in der Vertreter:innen aus Hochschulen und Schulen über Grenzsituationen im Unterricht diskutierten. Warum es überhaupt soweit kommt und wie wir (künftige) Lehrkräfte stärken können, darüber sprechen Professorin Dr. Karin Terfloth und Dr. Robert Vrban im Interview mit Antje Karbe.

Frau Terfloth, Herr Vrban: Was verstehen Sie überhaupt unter herausforderndem Verhalten im Unterricht?
Robert Vrban:
Unterricht findet nicht im luftleeren Raum statt – da kann es beispielsweise in den Interaktionen zwischen Schüler:innen oder mit Lehrkräften zu Herausforderungen kommen. Beispielsweise wenn Schüler:innen den Unterrichtsablauf oder auch sich selbst am Lernen hindern. Die Spannbreite reicht von aggressivem bis zu internalisiertem Verhalten, also Kinder ziehen sich zurück, zeigen Ängste oder haben Schwierigkeiten, vor der Klasse zu sprechen. Kinder, die nach Außen gehen, sind natürlich schneller präsent.
Karin Terfloth: Das Spannende ist: Das Verhalten eines Kindes ist subjektiv immer sinnvoll. Die Strategien, nach außen zu gehen oder sich zurückzuziehen, funktionieren aus der „Not“ heraus für die Betroffenen in dem Moment – sie sind nur nicht immer sozialverträglich/regelkonform oder für die Schüler:innen selbst förderlich.
Vrban: Wir sprechen hier von guten Gründen für das Verhalten eines Kindes oder Jugendlichen. Unsere Aufgabe ist herauszufinden, wo diese liegen.

Was können gute Gründe sein, „zu stören“ bzw. bestimmte Strategien einzusetzen?
Vrban:
Das Verhalten eines Kindes kann in seinem Umfeld überlebensnotwendig sein, aber im schulischen Kontext hochproblematisch. Vielleicht habe ich beispielsweise gelernt, mich wegzuducken, wenn bestimmte Jungs auf der Straße sind. Das ist eine sinnvolle Strategie, eigentlich sind solche Kinder in dem Moment sozial hochkompetent, nur passt sie nicht für den Unterricht. Gewalt kann beispielsweise als erfolgreiche Strategie im Umfeld erlebt worden sein – genauso kann aber Angst dahinterstecken. Vielleicht kann ein Kind in dem Moment nicht anders, weil die Emotionen zu stark sind, oder es will einfach Mitschüler:innen gefallen. Das lässt sich nicht auf die Schnelle beantworten.
Terfloth: Vielleicht soll auch ein bestimmtes Verhalten der Lehrkräfte erreicht werden und ich als Schüler:in habe mein Ziel erreicht, wenn ich rausgeschickt werde und nicht am Unterricht teilnehmen muss. Deshalb ist es wichtig, Verhaltensweisen und Strategien individuell zu analysieren.

Gibt es hier Besonderheiten in den sonderpädagogischen Förderschwerpunkten?
Terfloth:
Im Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ (GEnt) verändert sich die Schülerschaft stark. Schulleitungen melden mehr herausforderndes Verhalten, besonders in Eingangsklassen, und überlegen, ob es Intensiv- oder Vorbereitungsklassen braucht, in denen Schüler:innen lernen, sich überhaupt auf Unterricht und soziale Strukturen einzulassen. Ich finde eher fraglich, ob das ein guter Weg für die Schulentwicklung ist.
Vrban: Diese Thematik gibt es in allen Förderschwerpunkten. Mit „Vorbereitungsklassen“ kommen wir dann in die Situation, innerhalb der Inklusion Exklusion zu betreiben – das ist eine konzeptionelle Frage.
Terfloth: An der PHHD starten Erhebungen, um die veränderte Schülerschaft zum Beispiel am SBBZ Gent landesweit empirisch zu erfassen. Wenn wir hierzu mehr wissen, hat das ja wiederum Konsequenzen für die Ausbildung künftiger Lehrkräfte.

Wie machen Sie künftige Lehrkräfte fit, mit Herausforderungen im Unterricht umzugehen?
Terfloth:
Zum einen lernen Studierende Theorien und Modelle kennen, mit denen sich ein bestimmtes Verhalten erklären lässt. In solchen Situationen kommen Psychologie, Diagnostik, Pädagogik und Didaktik zusammen: Wenn sie in der Psychologie etwas über Emotionsregulation lernen, und ein gutes diagnostisches Verfahren anwenden können, kann man in der Pädagogik überlegen, welche Techniken und Methoden für die Unterstützung im Unterricht didaktisch angewendet werden können. Außerdem nutzen wir intensiv Fallbeispiele und Unterrichtssituationen. Es geht darum, Probleme zu identifizieren, herauszuarbeiten und Ansatzpunkte für Veränderungen zu finden. So gestalten wir auch unsere Prüfungen.
Vrban: Ich arbeite auch schwerpunktmäßig mit Fallbeispielen. Mein Ziel ist, Professionswissen zu entwickeln. Professionalität bedeutet, reflexiv in der Lage zu sein, Ideen zu entwickeln, wie ich mit bestimmten Situationen umgehen kann. Das ist immer ein Herantasten: Woran könnte es liegen? Welches Ziel verfolgt das Kind, der Jugendliche in der Situation? Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass Schüler:innenverhalten ganz viel mit mir als Lehrperson zu tun hat.

Inwiefern hat es mit mir als Lehrkraft zu tun?
Vrban:
Kinder haben häufig ein feines Gespür dafür, wo bei anderen Menschen Verletzungen oder ungelöste Themen verborgen liegen. Sie zielen nicht unbedingt absichtlich darauf ab, aber es kann zu Irritationen führen, die Interaktion ist dann sozusagen nicht geklärt. Da müssen wir draufgucken. Im Begleitseminar zum Integrierten Semesterpraktikum (ISP) stelle ich oft fest, dass es Studierenden schwerfällt, darüber zu sprechen, was sie wütend macht oder verletzt.
Terfloth: Ja, es ist eine Herausforderung in der Lehre, wenn Studierende lieber systematisch Theorie abarbeiten und es unwichtig finden, sich selbst zu reflektieren. Eine Alternative ist der Einsatz von Fallvignetten, eine möglichst realitätsnahe Fallbeschreibung, dann fühlen sich die Studierenden nicht selber involviert, sehen aber die Herausforderungen.
Vrban: Es ist manchmal unangenehm, ehrlich mit sich und anderen zu sein, aber das brauchen wir im Lehramtsstudium.

Sind Lehrkräfte also idealerweisegefestigte Persönlichkeiten?
Vrban:
Idealerweise vielleicht. Aber wir haben alle Themen und es kann jedem passieren, dass man noch Jahre über bestimmte Unterrichtssituationen nachdenkt. Es ist dann meine Aufgabe damit umzugehen, nicht die der Schüler:innen. Die Frage ist, ob wir gelernt haben, über uns zu sprechen.
Terfloth: Im ISP sehen sie gute oder schlechte Praxisbeispiele für den Umgang mit herausforderndem Verhalten. Unsere begleitenden Gespräche bieten Studierenden Raum, darüber zu reden, was sie belastet und an die eigenen Grenzen bringt. Später im Beruf haben sie eine andere Rolle und weniger Rückendeckung – deshalb war uns wichtig, dies in unserer Fishbowl-Veranstaltung zum Thema zu machen.

In der Fishbowl-Veranstaltung „Grenzen setzen – Grenzen wahren“ hatten Sie Studierende und aktive Lehrkräfte eingeladen über Grenzsituationen zu sprechen – was war damit gemeint?
Terfloth:
Der Impuls, Grenzsituationen zu thematisieren, bezog sich auf das Thema Freiheitsentzug in der Schule, hier werden klar Grenzen übertreten. Zur Frage, ob ein Kind bei Selbst- oder Fremdgefährdung fixiert oder eingesperrt werden darf, gibt es bislang wenig rechtlichen und fachlichen Diskurs. Das Thema beginnt bereits da, wo Lehrkräfte eigene Grenzen haben, die sie noch nicht gut reflektiert und kommuniziert haben.
Vrban: Bei schwierigen Situationen im Schulalltag geht es auch um Kontrollverlust: Wenn ich mich ohnmächtig fühle, ist die Gefahr relativ groß, in Grenzsituationen zu kommen und unbewusst meine Macht zu missbrauchen. Wir möchten sensibilisieren, darüber nachzudenken. Wir planen, weitere Diskussions-Veranstaltungen dieser Art für Lehrkräfte und Studierende anzubieten – als Pädagogische Hochschule haben wir auch eine Modellfunktion im Umgang mit solchen Themen.

Redaktion und Foto: Antje Karbe

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