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Publikation: Pädagogische Hochschule Heidelberg

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/ via ph-heidelberg /

Inklusiver Schulunterricht ist komplex. Lehrkräfte müssen fachlich fit sein, um ihren Stoff zu vermitteln. Gleichzeitig sollen sie einschätzen, wie jedes einzelne Kind am besten lernt – vor allem, wenn ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt. Wie das im Biologieunterricht funktionieren kann, beschreibt eine neue Publikation, in der Fachdidaktiker:innen und Sonderpädagog:innen erstmals ihre Expertise zusammenführen. Unter Federführung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PHHD) erschien im Mai 2025 das Lehr- und Praxisbuch „Inklusiver Biologieunterricht“ und ist nun kostenlos im Netz über den Beltz Verlag zugänglich.

“Für die Biologie gibt es bisher kein vergleichbares Werk”, sagt Dr. Armin Baur, einer der Herausgeber und Professor für Biologie und ihre Didaktik an der PHHD. Der Impuls kam von Studierenden, die sich mehr konkrete Ideen für den inklusiven Biologie-Unterricht und den Unterricht an Förderschulen wünschten. Daraus entstand ein Seminar und die Idee zur Publikation. Baur holte Kolleg:innen aus der Fachdidaktik und der Sonderpädagogik verschiedener deutscher Hochschulen ins Boot und – das war den Herausgebern wichtig – aktive Lehrkräfte aus den Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ).

Verschiedene Lernzugänge schaffen

“Wir Fachdidaktiker formulieren im Buch aus, nach welchen Prinzipien moderner Biologieunterricht aufgebaut sein sollte und welche Arbeitsformen uns wichtig sind”, sagt Baur. Die Sonderpädagog:innen beschreiben wiederum in einem Kapitel detailliert, welche Auswirkungen dies auf die jeweiligen sonderpädagogischen Förderschwerpunkte hat. “Wir haben uns gefragt, wie wir den speziellen Herausforderungen begegnen können, sodass gemeinsames Lernen möglich ist”, sagt Professor Dr. Markus Lang, der im Bereich Blinden- und Sehbehindertenpädagogik an der Publikation mitarbeitete. Es brauche für Inklusion sowohl die fachliche als auch die sonderpädagogische Expertise. “Ich fand es eine tolle Idee, das einmal durchzudeklinieren.”

Zum Beispiel an der typischen Arbeitsform des Beobachtens und Betrachtens: “In der Fachdidaktik zeigen wir eine Pflanze und beobachten beispielsweise, wie die Bestäubung durch ein Insekt funktioniert”, erklärt Baur. Selbst wenn man dabei in kleinen Schritten vorgeht und Material zur Unterstützung anbietet, sind hier Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung oder Sinnesbeeinträchtigung möglicherweise außen vor. “Für diese Schüler:innen kann es hilfreicher sein, das Thema weiter zu fassen”, sagt Professorin Dr. Karin Terfloth, die den Blick auf die Pädagogik bei kognitiver und komplexer Beeinträchtigung beisteuerte. „Zum Beispiel: Es gibt verschiedene Pflanzen, die ich wahrnehmen, riechen und vielleicht auch unterscheiden kann.“ Während also ein Teil der Klasse eine Bestäubung beobachtet, würden sich andere Kinder erstmal mit der Gestalt der Pflanze befassen. Blinde und sehbeeinträchtigte Schüler:innen wiederum bräuchten weitere Sinneseindrücke, über das Hören oder Ertasten, wie Lang beschreibt, und eventuell ein vergrößertes Modell der Pflanze.

“Unterm Strich ist die Frage immer, wie weit sich ein Thema öffnen lässt, damit ich verschiedene Lernzugänge herausarbeiten kann”, fasst Terfloth zusammen. Die Inklusionspädagogik spricht hier auch von einem “Universal Design for Learning”: Eine Lernumgebung wird so gestaltet, dass sie die Lernerfahrung aller Beteiligten optimiert. Davon profitiere am Ende die ganze Klasse, so die Sonderpädagogin. “Inklusiver Unterricht ist nicht Regelunterricht plus ein paar Besonderheiten, sondern eine Transformation der Arbeitsstrukturen und -methoden. Es braucht eine Öffnung für Schüler:innen mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen jeglicher Art.”

Den Einzelfall im Blick

Wie sich das im Alltag planen lässt, beschreiben Lehrkräfte aus der Praxis in einem Kapitel unter dem Stichwort “aktives Lernen”. Veranschaulicht wird dies auch durch Fallbeispiele zu den jeweiligen Förderschwerpunkten in einem weiteren Kapitel: Hier werden fiktive Schüler:innen mit speziellen Voraussetzungen beschrieben und konkrete Lernzugänge vorgeschlagen. Statt verallgemeinernder Konzepte habe man sich entschieden, fallbezogen zu arbeiten, sagt Lang. Das sei die Grundproblematik und gleichzeitig der Schlüssel zur Inklusion: “Wir müssen den Blick auf die Einzelnen legen.”

Wünschenswert wäre ein grundsätzliches Umdenken im Schulsystem, weg von homogenen Lerngruppen hin zu flexibleren Strukturen insgesamt, sind sich die Wissenschaftler:innen einig. Was das Lehrwerk bieten kann, sind aber zumindest konkrete Ideen und Unterstützung für (angehende) Lehrkräfte im derzeitigen Schulalltag. “Eine Art Türöffner zu mehr Inklusion”, sagt Baur. Für die Autor:innen veränderte das schon beim Schreiben den Blick. “Wir haben viel voneinander gelernt, es war höchstspannend.” Synergien wie diese könnten gerade an einer Pädagogischen Hochschule noch stärker gelebt werden, auch das eine Erkenntnis. “Im integrierten Semesterpraktikum (ISP) funktioniert das bereits gut”, sagt Terfloth. Hier besuche man gemeinsam den Unterricht und führe tolle Nachgespräche aus beiden Perspektiven. “An Hochschulen könnten wir versuchen, noch mehr gemeinsame Situationen dieser Art zu schaffen.”

Weitere Informationen finden Sie unter www.beltz.de bzw. unter www.ph-heidelberg.de/biologie.

Text: Antje Karbe
Foto: Verena Loos

Quelle

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