Sylt-Prozess: Hohe Haftstrafen für Klimaschützer:innen
/ via letzte generation heidelberg /
Sylt-Prozess: Hohe Haftstrafen für Klimaschützer:innen
– „Wenn Sie uns nicht freisprechen, dann wird’s die Geschichte tun.“ –
Mahnwache vor Beginn des heutigen Verhandlungstags in Itzehoe. (c) Letzte Generation
Itzehoe, 06.12.2024, 15.08 Uhr – Am Freitagnachmittag ist in Itzehoe der Prozess gegen vier Unterstützer:innen der Letzten Generation und einen Medienvertreter zu Ende gegangen. Über mehrere Tage waren in der holsteinischen Stadt zwei Proteste aus dem Vorjahr verhandelt worden. Nun wurden die Angeklagten zu hohen Geldstrafen bzw. zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.
Die erste Verhandlungssache – die „Renaturierung“ eines Golfplatzes auf der exklusiven Urlaubsinsel Sylt mittels Setzlingen im Frühjahr 2023 – wurde nach § 154 StPO eingestellt. Somit wurde am heutigen Freitag nur noch über eine Causa gerichtet: Am 6. Juni 2023 hatten die Angeklagten auf dem Sylter Flughafen einen Privatjet mit oranger Warnfarbe besprüht, um auf die klimaschädlichen Auswirkungen von Privatflügen aufmerksam zu machen. Der Protest war mit der Forderung nach staatlichen Regulationen einhergegangen. Auch die Verteidigung des Angeklagten Michael W. plädierte am Freitagvormittag für eine Gesetzesänderung: „Warum ist es nicht strafbar, an einer Wirtschaftsform festzuhalten, die die Klimakrise befeuert? (…) Paragraf 34: Es darf in die Rechte Dritter eingegriffen werden, wenn ein Notstand vorliegt.“
Gemäß der Anklageschrift ist an dem Privatjet ein Schaden in Höhe von 900.000 Euro entstanden. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 wurden über 15 Millionen Euro aufgrund von Klimafolgen ausgegeben – nicht im Jahr, sondern pro Tag.
Medizinstudentin Regina Stephan (22) wurde heute zu sechs Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Das Gerichtsurteil geht über den Antrag der Staatsanwaltschaft hinaus, die fünf Monate gefordert hatte. In ihrem sogenannten letzten Wort mahnte Stephan an die katastrophalen Folgen für die Demokratie, wenn friedliche Proteste als Straftaten verurteilt werden. Sie verwies auf die Rechtswissenschaftlerin Dr. Samira Akbarian, nach der sich eine Demokratie im Gegensatz zu einer Autokratie durch die Möglichkeit auszeichnet, das demokratische Zusammenleben immer wieder neu zu verhandeln und zu verändern. Stephans Appell: „Es ist Ihre Aufgabe als Jurist:innen, Recht und Gesetz immer im aktuellen gesellschaftlichen Kontext auszulegen. Sie können eben nicht sagen: ‚Straftaten sind Straftaten, Gesetze sind Gesetze.‘“ Sie beendete ihre Rede mit einem Blick in die Zukunft: „Wenn Sie uns nicht freisprechen, dann wird’s die Geschichte tun.“
Gemeinsam mit Stephan saß Lilli Gómez (24) auf der Anklagebank. Vor dem Urteilsspruch – Lilli soll sieben Monate ins Gefängnis, ebenfalls ohne Möglichkeit der Bewährung – erinnerte auch sie das Gericht an seine Verantwortung: „In dieser besonderen Situation ist es jetzt an der Justiz, an Ihnen, sich mutig zu positionieren. Denn wenn die Klimakatastrophe die Zivilisation zerstört, wird mit dieser natürlich auch unser Rechtsstaat untergehen. Es ist also ein Trugschluss zu behaupten, dass der Rechtsstaat durch unsere Proteste gefährdet wird. Das Gegenteil ist der Fall. Ohne effektiven Klimaschutz kann es zukünftig keinen Rechtsstaat geben.“
Johannes Link, Pastor i. R. aus Lüneburg, kam als Zuschauer nach Itzehoe und bezog klare Stellung gegen das harte Urteil: „Die Klimakrise verschärft sich ungebremst. Wenn sich deutlich mehr Menschen so entschieden für den Klimaschutz einsetzen würden wie die angeklagten Personen, hätte ich neue Hoffnung. Die jungen Angeklagten kommen mit ihrer Verantwortung für unseren Planeten auch stellvertretend für meine Sicht auf die globale Notlage hinter Gitter. Mit ihrer so unübersehbaren wie ungefährlichen Zeichenhandlung für das Gemeinwohl verdienen sie unsere Solidarität und Wertschätzung.“
Die Gerichtsverhandlung war am 12. November eröffnet worden und erstreckte sich über mehrere Tage. Sie fand nicht in den Räumlichkeiten des Amtsgerichts Itzehoe, sondern im China Logistic Center statt. In der Lagerhalle herrschten übersteigerte Sicherheitsvorkehrungen: Es wurden Ausweiskopien der Besucher:innen angefertigt, Obst, Bücher, Sekundenkleber und weitere Gegenstände waren untersagt. Regina Stephan stellte die absurden Vorsichtsmaßnahmen der unverhandelbaren Friedlichkeit ihrer Proteste entgegen: „Wir sitzen in einem grauen Gebäude (…) in einem Industriegebiet in Itzehoe. In einem Gerichtssaal, der für einen KZ-Prozess gebaut wurde. Die Zuschauenden sitzen hinter Glasscheiben und alles wird beim Einlass kontrolliert. Als wären wir gefährliche Schwerverbrecher.“
Stephan spielte damit auf den Prozess gegen die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner an, der 2022 ebenfalls im China Logistic Center abgehalten wurde. Die Reaktion der Behörden auf die Klimaschützer:innen ist ein Paradebeispiel für deren zunehmende Kriminalisierung. Laut Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland, werden Menschen, die friedlich protestieren, europaweit verunglimpft, behindert oder unrechtmäßig bestraft.
Gegen die heutigen Richtersprüche wurden noch im Gerichtssaal Rechtsmittel eingelegt.