Astroteilchenphysik: Neutrinos sind leichter als 0,45 Elektronenvolt
/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /
Das internationale KArlsruhe TRItium Neutrino Experiment (KATRIN) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat erneut Maßstäbe gesetzt: Aus den gerade in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlichten Daten lässt sich eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (entspricht 8 x 10-37 Kilogramm) für die Masse des Neutrinos ableiten. Damit stellt KATRIN, das die Neutrinomasse mit einer modellunabhängigen Methode im Labor vermisst, erneut einen Weltrekord auf.
Neutrinos gehören zu den rätselhaftesten Teilchen des Universums. Sie sind allgegenwärtig, reagieren aber äußerst selten mit Materie. In der Kosmologie beeinflussen sie die Entwicklung großräumiger Strukturen, während sie in der Teilchenphysik aufgrund ihrer winzigen Masse als Indikatoren für bisher unbekannte physikalische Prozesse dienen. Die präzise Messung der Neutrinomasse ist daher essenziell für ein vollständiges Verständnis der fundamentalen Gesetze der Natur.
Genau hier setzt das KATRIN-Experiment mit seinen internationalen Partnern an. KATRIN nutzt den Beta-Zerfall von Tritium, einem instabilen Wasserstoffisotop, um mithilfe der Energieverteilung der entstehenden Elektronen die Neutrinomasse zu messen. Um dies zu erreichen, sind hochentwickelte technische Komponenten notwendig: Das 70 Meter lange Experiment beherbergt eine intensive Tritiumquelle sowie ein hochauflösendes Spektrometer mit einem Durchmesser von 10 Metern. Diese Technologie ermöglicht eine bislang unerreichte Präzision bei der Messung der Neutrinomasse.
Mit den aktuellen Daten aus dem KATRIN-Experiment konnte für die Neutrinomasse eine Obergrenze von 0,45 Elektronenvolt/c2 (das entspricht 8 x 10-37 Kilogramm) abgeleitet werden. Gegenüber den letzten Ergebnissen aus dem Jahr 2022 konnte die Obergrenze damit fast um einen Faktor zwei gesenkt werden.
Auswertung der Daten
Die Qualität der ersten Datensätze seit dem Start der Messungen im Jahr 2019 konnte über die letzten Jahre kontinuierlich verbessert werden. „Wir haben fünf Kampagnen mit gut 250 Messtagen aus dem Zeitraum von 2019 bis 2021 analysiert – das entspricht etwa einem Viertel der insgesamt mit KATRIN erwarteten Datennahme“, erklärt Prof. Kathrin Valerius vom Institut für Astroteilchenphysik des KIT, eine der beiden Co-Sprecherinnen des Experiments. Professorin Susanne Mertens vom Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) und der Technischen Universität München (TUM) ergänzt: “In jeder Messkampagne haben wir dazugelernt und die experimentellen Bedingungen weiter optimiert.”
Die Auswertung der komplexen Daten stellte für das internationale Datenanalyseteam eine Herausforderung dar. “Die Analyse der KATRIN-Daten ist hochanspruchsvoll, da eine bisher noch nie erreichte Genauigkeit benötigt wird”, betont Dr. Alexey Lokhov vom Institut für Experimentelle Teilchenphysik des KIT, Co-Analysekoordinator. Dr. Christoph Wiesinger vom MPIK und der TUM, ebenfalls Co-Analysekoordinator, fügt hinzu: “Wir benötigen den Einsatz hochmoderner Analysemethoden, wobei insbesondere künstliche Intelligenz eine entscheidende Rolle spielt.”
Ausblick auf künftige Messungen
“Unsere Messungen zur Neutrinomasse werden noch bis Ende 2025 andauern. Durch die kontinuierliche Verbesserung des Experiments und der Analyse, sowie durch eine größere Datenmenge erwarten wir eine noch höhere Sensitivität – und möglicherweise bahnbrechende neue Erkenntnisse”, blickt das KATRIN-Team optimistisch in die Zukunft. Schon jetzt führt KATRIN das weltweite Feld der direkten Neutrinomassenmessung an und hat mit den ersten Daten die Ergebnisse früherer Experimente um das Vierfache übertroffen. Das aktuelle Resultat zeigt, dass Neutrinos mindestens eine Million Mal leichter sind als Elektronen, die leichtesten geladenen Elementarteilchen. Diesen enormen Massenunterschied zu erklären, bleibt eine Herausforderung für die theoretische Teilchenphysik.
Neben der präzisen Neutrinomassenmessung plant KATRIN bereits die nächste Phase. Ab 2026 wird ein neues Detektorsystem, TRISTAN, installiert. Dieses Upgrade des Experiments ermöglicht die Suche nach sogenannten sterilen Neutrinos im Kiloelektronenvolt/c2-Massenbereich. Sterile Neutrinos sind bisher hypothetische Elementarteilchen, die nochmals deutlich schwächer interagieren als die bekannten Neutrinos und geeignete Kandidaten für die Dunkle Materie sind. Darüber hinaus wird mit KATRIN++ ein Forschungs- und Entwicklungsprogramm initiiert, um Konzepte für ein Experiment der nächsten Generation zu erarbeiten, das eine noch präzisere direkte Messung der Neutrinomasse ermöglichen soll.
Die KATRIN Kollaboration
An KATRIN arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von über 20 Institutionen aus 7 Ländern mit.
Die Arbeitsgruppe um die neuberufene Direktorin Susanne Mertens am Max-Planck-Institut für Kernphysik (bisher TU München) war dabei an den hier vorgestellten Ergebnissen maßgeblich beteiligt. So entwickelten die Forschenden unter anderem eine neue Analysemethode und trugen unter Co- Analyse Koordinator Christoph Wiesinger federführend zur Datenanalyse bei. Auch an den erforderlichen Kalibrationsmessungen war die Arbeitsgruppe beteiligt. Die nun am MPIK ansässige Arbeitsgruppe leitet zudem die TRISTAN Detektorentwicklung.
Originalpublikation
Direct neutrino-mass measurement based on 259 days of KATRIN data
KATRIN collaboration
Science 388 (issue 6743), 180–185 (2025). DOI: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adq9592
Weiterführende Referenzen:
KATRIN Webseite: www.katrin.kit.edu
Science Perspective: https://www.science.org/doi/10.1126/science.adw9435