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Durch den Schutzschild des Raumschiffs Atom

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/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /

„Schutzschilde hochfahren“: Dieses Kommando ist Fans von Star Wars und Star-Trek vertraut. Etwas Ähnliches kennen naturwissenschaftlich Forschende, denn die Elektronenhülle als „Schutzschirm“ behindert normalerweise den Zugang zu dessen Kern. Das hat zum Beispiel für die Chemie Konsequenzen, wenn sie mit Hilfe der sogenannten Kernspinresonanz chemische Eigenschaften untersuchen will. Diese Methode ist die Schwester der Magnetresonanztomographie; nur geht es hier nicht um Bilder aus einem lebenden Körper, sondern den hochgenauen chemischen Fingerabdruck des untersuchten Materials. Beide Geschwistermethoden nutzen sehr starke Magnetfelder und basieren darauf, dass bestimmte Atomkerne kleine Magnete – sozusagen winzige Kompassnadeln – sind. In einem starken Magnetfeld lassen sie sich zum Kreiseln bringen. Wie im Schulversuch mit einer Induktionsspule, durch das man einen Magneten bewegt, wechselwirkt diese Bewegung des Atomkerns mit der umgebenden Elektronenhülle. Da die Elektronen die chemischen Bindungen aufbauen, liefert somit das Signal der präzedierenden Atomkerne sehr genaue Informationen über deren chemisches Umfeld.

Das Dreikörper-Problem

Nun könnte man denken, dass die moderne Physik das magnetische Moment eines Atomkerns sowie die Abschirmwirkung der Elektronenhülle genau ausrechnen könnte. Doch dem ist nicht so, bestätigt Zoltan Harman, der am Institut in Heidelberg als Theoretiker für solche Rechnungen zuständig ist. Ursache ist – wie so oft – das grundlegende Problem, dass Systeme aus mehr als zwei Körpern mathematisch nicht exakt berechenbar sind. Das gilt für Planetenbahnen in Sternsystemen wie für Atome, deren Elektronen sich allerdings nur auf bestimmten, quantisierten Energieorbitalen um den Kern aufhalten dürfen. Hinzu kommt, dass auch ein Atomkern selbst nicht exakt berechenbar ist. Selbst der einfachste Kern, das einzige Proton im Wasserstoff, besteht bereits aus drei Quarks, die komplex miteinander wechselwirken.

„Die Theoretiker können deshalb so ein Kernmoment nur ungefähr auf ein Promille Unsicherheit genau berechnen“, sagt Stefan Dickopf. Für Anwendungsgebiete in der Kernspinresonanz und der Grundlagenphysik sind somit Hochpräzisionsexperimente wichtig, um solche Eigenschaften wesentlich genauer zu vermessen, als Rechnungen es vermögen. Eine Methode mit sogenannten Penning-Fallen hat Klaus Blaums Team zu Weltspitzenleistungen entwickelt. Sie ermöglicht es, die magnetischen Eigenschaften eines Atomkerns sehr genau zu vermessen. Solche Messungen hat Stefan Dickopf, federführend als Doktorand im Team unter der Leitung von Andreas Mooser, nun am Isotop Beryllium-9 durchgeführt.

Warum Beryllium-9 so interessant ist

Warum aber Beryllium, das Element Nummer Vier im Periodensystem? Das habe mehrere Gründe, erläutert Dickopf, einer davon: „Es hat einen kleinen Atomkern, weshalb spezielle Korrekturen, die größere Atomkerne erfordern, wegfallen.“ Vor allem aber steht es dem Element Nummer Zwei, Helium, nahe. Das spielt im Hinblick auf Anwendungen in der Kernspinresonanz eine wichtige Rolle. Will man nämlich dort Präzisionsmessungen durchführen, muss man erst einmal das Magnetfeld in der Apparatur genau vermessen. Diese Genauigkeit geht entscheidend in die spätere Analyse ein.

Eine gut geeignete „Sonde“ für diese Magnetfeldmessungen ist das Helium-Isotop Helium-3. Dessen magnetisches Moment hat Klaus Blaums Team bereits in einer Penning-Falle sehr genau vermessen können, was Nature im Jahr 2022 veröffentlichte. Allerdings musste es dazu ein Elektron aus dem Helium-3 entfernen. Denn eine Penning-Falle kann nur so ein elektrisch geladenes Ion mit einer Kombination aus einem komplex geformten elektrischen und einem starken Magnetfeld gefangen halten – das aber monatelang. Kernsponresonanz-Methoden arbeiten hingegen mit neutralem Helium-3 als Sonde, was ein Problem aufwirft, so Dickopf: „Die Abschirmung durch zwei Elektronen ist nicht gut verstanden.“

Das motivierte die Heidelberger, eine solche Messung auch mit Beryllium-9 durchzuführen. Dazu hat das Team ihm drei Elektronen entfernt, sodass nur ein Elektron übrigblieb. Der Quervergleich mit bereits etablierten Messungen des magnetischen Kernmoments an Beryllium, dem weniger Elektronen entfernt wurden, lieferte Schlüsseldaten über den genauen Abschirmeffekt der Elektronen. Das lässt wiederum Rückschlüsse auf die Abschirmung in neutralem Helium-3 zu.

Das Beryllium-9-Ion mit nur einem „Restelektron“ stand zudem im Fokus, weil es ein „wasserstoffähnliches“ System sei, erklären Dickopf und Harman. Da der Atomkern klein ist, kann man ihn hier in guter Näherung als eine Einheit, tatsächlich also wie eine winzige Kompassnadel, betrachten. Zusammen mit dem einzig verbliebenen Elektron bildet er so fast ein theoretisch exakt berechenbares Zweikörper-System. Vor allem lasse sich nun das Elektron gewissermaßen als Antenne einsetzen, so Zoltan Haman, um das magnetische Moment des Beryllium-9-Kerns zu vermessen. „Das ist grob 26 Größenordnungen, also ein Hundert Millionstel Milliardstel Milliardstel, schwächer als eine Kompassnadel“, skizziert Dickopf die Herausforderung.

Zweitgenaueste Messung eines magnetischen Kernmoments

Die Messung in einer Penning-Falle basiert wie alle Präzisionsmessungen darauf, dass sich eine wiederholende Bewegung genau mitzählen lässt – wie eine Uhr über ihr Uhrwerk die Pendelausschläge mitzählt. Im starken Magnetfeld der Falle rotiert das Ion auf einer Kreisbahn, und über diese „Zyklotronfrequenz“ kann eine mitzählende Elektronik zum einen das Magnetfeld der Falle selbst sehr exakt vermessen. Das ist für eine Präzisionsmessung des magnetischen Moments unerlässlich.

Nun muss noch die Orientierung des Kernmoments als winzige Kompassnadel im Magnetfeld gemessen werden. Entscheidend ist hier, wie sich die Energie des Kernmoments zwischen zwei verschiedenen Orientierungen, die die Quantenphysik erlaubt, im Magnetfeld verändert. Diese Information liefern weitere Frequenzen, die bei dieser Messmethode auftreten. Allerdings ist dieses Signal extrem schwach. Das Elektron als kleine Antenne nahe am Kern verstärkt diese und ermöglichten so erst diese Frequenzmessungen.

„So gelang uns am Beryllium-9 die zweitgenaueste Messung des magnetischen Moments eines Atomkerns nach dem Proton“, freut sich Dickopf. Auch über den Abschirmeffekt von mehreren Elektronen lieferte das Experiment die ersten genauen Daten, die sich nun auf das Helium-3 übertragen lassen. Das wird helfen, bestimmte Kernresonanz-Anwendungen noch genauer zu machen. Die Heidelberger Ergebnisse sind also ein doppelter Gewinn, für die fundamentale Physik wie für die Anwendung in der genauen Messung von Magnetfeldern.

(R. Wengenmayr)


Originalpublikation:

Precision spectroscopy on 9Be overcomes limitations from nuclear structure
Stefan Dickopf, Bastian Sikora, Annabelle Kaiser, Marius Müller, Stefan Ulmer, Vladimir A. Yerokhin, Zoltán Harman, Christoph H. Keitel, Andreas Mooser and Klaus Blaum
Nature (2024). DOI: 10.1038/s41586-024-07795-1


Weblinks:

Gruppe von Andreas Mooser (Abteilung Blaum) am MPIK

Gruppe von Zoltán Harman (Abteilung Keitel) am MPIK


3He_Trap_4-3.jpg
Penning-Ionenfalle zur Bestimmung der magnetischen Kerneigenschaften von 9Be.

Quelle

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