Quantenelektrodynamik-Theorie erreicht extreme Präzision
/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /
Neue „Zweischleifen“-Rechnungen haben einen kniffligen Teil des Quantenelektrodynamik-Puzzles, die Selbstenergie des Elektrons, mit bisher unerreichter Präzision gelöst: Das Ergebnis aktualisiert die Lamb-Verschiebung, was zu einer relevanten Anpassung der für die Atomphysik fundamentalen Rydberg-Konstante führt. Darüber hinaus wurden diese Korrekturen erfolgreich zur Bestimmung der magnetischen Eigenschaften wasserstoffähnlicher Zinn-Ionen angewandt. Diese verfeinerten Berechnungen eröffnen neue Wege zur Untersuchung der Eigenschaften von Atomkernen und zur verbesserten Suche nach neuer Physik.
Die Quantenelektrodynamik, kurz QED, zählt zu den Kronjuwelen der modernen Physik. Diese Theorie erklärt, wie Licht und Materie auf der Quantenebene interagieren, und wurde mit außerordentlicher Präzision getestet. Einer ihrer bedeutendsten Durchbrüche stammt aus den 1940er Jahren, als Physiker bei der Untersuchung von atomarem Wasserstoff eine subtile Energieverschiebung feststellten, die heute als Lamb-Verschiebung bezeichnet wird. Diese Entdeckung war ein wichtiger Meilenstein in der Physik und einer der ersten Einblicke in die Quantennatur des Elektromagnetismus. Heute ist die QED präziser als je zuvor. Sie ermöglicht eine so genaue Vorhersage der Lamb-Verschiebung, dass Wissenschaftler sie zur Bestimmung der Rydberg-Konstante verwenden – einer Schlüsselgröße in der Atomphysik. Diese Konstante ist entscheidend, um sicherzustellen, dass die Berechnungen mit den experimentellen Daten übereinstimmen, wenn atomare Systeme mit Licht untersucht werden.
Kürzlich haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg einen kniffligen Teil des QED-Puzzles in Angriff genommen. Sie konzentrierten sich auf ein Phänomen, das als Selbstenergie des Elektrons bekannt ist und auftritt, wenn ein Elektron mit dem Quantenvakuum interagiert – dem unsichtbaren See aus Energie, welcher das gesamte Universum durchdringt. Dabei handelt es sich um Teilchen, die so flüchtig sind, dass sie nicht direkt nachgewiesen werden können, aber dennoch einen messbaren Einfluss hinterlassen. Um diesen Effekt mit hoher Präzision vorherzusagen, müssen die Physiker Szenarien berücksichtigen, in denen das Elektron mit zwei virtuellen Photonen wechselwirkt. Das ist eine enorme Herausforderung, die bisher mit Hilfe von Näherungen angegangen wurde, die auf der Annahme beruhen, dass das Elektron den Kern viel langsamer als Lichtgeschwindigkeit umkreist. Vladimir Yerokhin aus der Theorieabteilung von Christoph H. Keitel am MPIK ging jedoch einen Schritt weiter und führte die Berechnungen ohne derartige Vereinfachungen durch. Das Ergebnis ist eine überraschende Neuberechnung der Lamb-Verschiebung, die zu einer kleinen Anpassung der Rydberg-Konstante führte – sie schrumpfte um nur einen Teil in einer Billion und verbesserte zugleich ihre Unsicherheit um den bedeutenden Faktor 1,4.
Die Lamb-Verschiebung ist nicht die einzige Spur, welche die QED in atomaren Systemen hinterlässt. Eine weitere Schlüsseleigenschaft des Elektrons ist sein Eigendrehimpuls, der „Spin“ – eine grundlegende Eigenschaft, die es zu einem winzigen Magneten macht. In einem Magnetfeld erzeugt dieser Magnetismus zwei verschiedene Quantenzustände für das Elektron – einer entspricht einer Drehung im Uhrzeigersinn und der andere einer Drehung gegen den Uhrzeigersinn. Der Energieunterschied zwischen diesen Zuständen definiert den g-Faktor, einen Wert, den Physiker mit unglaublicher Präzision messen und berechnen können.
An dieser Stelle wird es spannend: Ähnliche Quanteneffekte, welche die Lamb-Verschiebung beeinflussen, wirken sich auch auf den g-Faktor aus. Bis vor kurzem war den Forschenden nicht ganz klar, wie diese „Zwei-Schleifen“-Korrekturen den g-Faktor beeinflussen. Aber Bastian Sikora und seine Kollegen haben nach fünf Jahren aufwändiger Berechnungen dieses Geheimnis geknackt, indem sie ihre Berechnungen auf ein Zinn-Ion anwendeten – ein wasserstoffähnliches Atom mit einer starken Kernladung. Nun konnten sie die Unsicherheit im theoretischen Wert des g-Faktors verringern und ihn um eine Stelle präziser machen als zuvor. Noch faszinierender ist, dass diese verfeinerten Berechnungen neue Wege zur Untersuchung von Atomkernen ermöglichen. Durch die Verwendung des g-Faktors als Sonde könnten Wissenschaftler bald die Größe von Atomkernen mit noch nie dagewesener Genauigkeit messen und so tiefere Einblicke in diese Bausteine der Materie gewinnen.
Originalpublikationen:
Two-loop electron self-energy for low nuclear charges
V. A. Yerokhin. Z. Harman and C. H. Keitel
Physical Review Letters, accepted. www.arxiv.org/html/2411.12459v1
Improved bound-electron g-factor theory through complete two-loop QED calculations
B. Sikora, V. A. Yerokhin, C. H. Keitel and Z. Harman
www.arxiv.org/abs/2410.10421
Weblinks:
Gruppe ‚Ionic Quantum Dynamics and High-Precision Theory‘ am MPIK