Rückwärtsgang im Quantentunnel
/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /
Die Dynamik der Rekollision unter einer Potentialbarriere bei der Starkfeldionisation von Xenon wurde theoretisch von der Theorieabteilung des MPIK wie auch experimentell an der Pohang University of Science and Technology in Korea untersucht.
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Der Tunneleffekt ist ein besonderes Quantenphänomen, das keine klassische Entsprechung hat. Er spielt eine wesentliche Rolle für Starkfeldphänomene in Atomen und Molekülen, die mit intensiven Lasern wechselwirken. Prozesse wie z. B. die Erzeugung höherer Harmonischer der Laserwelle werden durch die Dynamik der Elektronen nach der Tunnelionisation angetrieben. Während dies bereits weitgehend erforscht ist, blieb das ebenso wichtige Verhalten der Elektronen unterhalb der Tunnelbarriere im Dunkeln. Für das Verständnis der laserinduzierten Starkfeldionisation werden für ein bestimmtes System und eine bestimmte Laserfrequenz zwei Szenarien unterschieden: Das Multiphoton-Regime bei eher geringen Intensitäten und das Tunneln bei hohen Intensitäten. Die meisten Experimente in starken Feldern wurden jedoch in einem Zwischenbereich durchgeführt, in der Mehrphotonensignaturen beobachtet werden, während das Tunneln immer noch der dominierende Prozess ist.
Abb. 1 veranschaulicht diese Mechanismen: (a) Direkte Mehrphotonen-Ionisation befördert das gebundene Elektron in einen freien Zustand. Dies kann über einen angeregten Zustand resonant verstärkt werden (Freeman-Resonanzen), wenn die entsprechende Übergangsenergie mit der Summenenergie einer bestimmten Anzahl von Photonen übereinstimmt. Freie oder hoch angeregte Elektronen werden durch das oszillierende Laserfeld hin und her getrieben. Die durchschnittliche kinetische Energie dieser Bewegung verschiebt mit zunehmender Intensität die Ionisationsschwelle wie auch die höher angeregten Zustände nach oben. (b) Im Grenzfall hoher Laserintensitäten (und/oder) niedriger Frequenzen kann das Tunneln quasistatisch betrachtet werden (1): Das Elektron tunnelt horizontal (mit konstanter Energie) durch die Barriere, während das elektrische Feld (Steigung der potentiellen Energie) dabei nahezu konstant ist. Es ist bekannt, dass im Übergangsbereich die so genannte nichtadiabatische zeitliche Änderung des Feldes zu einem Energiegewinn des Elektrons beim Durchtunneln der Barriere führt (2). Ein weiterer Energiegewinn kann unter dem Einfluss der Dynamik des freien Elektrons nach dem Tunneln folgen.
Ein neues eindimensionales Modell von Michael Klaiber und Karen Hatsagortsyan aus der Theorieabteilung von Christoph Keitel am Max-Planck-Institut für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg sagte einen neuen Anregungsmechanismus voraus [1]: Das Elektron kann am Ende des Tunnels reflektiert werden – gleichfalls ein reiner Quanteneffekt (3). Im Rückwärtsgang unter der Barriere gewinnt es genügend zusätzliche Energie, um einen angeregten Zustand des Atoms zu erreichen. Dieser kann dann durch Absorption einiger Photonen ionisiert werden (4). In der aktuellen Arbeit wurde dieses Modell auf die Starkfeldionisation von Xenon-Atomen angewendet, wobei sowohl die direkte Multiphoton-Ionisation als auch die Rekollision unter der Barriere in einer vollständigen dreidimensionalen Berechnung Berücksichtigung fanden.
Eine Reihe von hochauflösenden Messungen der intensitätsabhängigen Photoelektronspektren wurde an der Pohang University of Science and Technology durchgeführt. Die Ergebnisse für Xenon für einen Bereich von 10 bis 70 TW/cm2 Laserintensität sind in Abb. 2 im Vergleich zur theoretischen Vorhersage dargestellt. Die Multiphoton-Peaks, welche sich mit der Intensität verschieben, sind durch gestrichelte Linien gekennzeichnet, während die Freeman-Resonanzen (FR) bei festen Photoelektron-Energien auftreten. Das theoretische Modell, das die Rekollision im Tunnel einschließt, reproduziert die beobachteten Strukturen sehr gut.
Beispielhaft ist ein Spektrum für eine Laserintensität von 50 TW/cm2 im oberen Teil dargestellt, wobei die Linien die Energien der Multiphoton-Peaks (rot) und der Freeman-Resonanzen (grün) angeben. Letztere dominieren eindeutig das Spektrum bei höheren Photoelektron-Energien, was eine deutliche Signatur für die Dynamik unter der Barriere ist. In der Simulation kann dieser Kanal künstlich ausgeschaltet werden, was zu einer starken Unterdrückung der Freeman-Resonanzen führt. Die dynamische Rekollisionsanregung dominiert gegenüber dem direkten Multiphotonprozess insbesondere bei hohen Photoelektron-Energien und hohen Intensitäten. Dies lässt sich intuitiv durch die geringere Anzahl von Photonen erklären, die im Rekollisionskanal absorbiert werden.
Ein ganz ähnliches Verhalten wurde sowohl experimentell als auch theoretisch für Krypton-Atome gefunden, was die allgemeine Relevanz der Dynamik unter der Barriere in starken Laserfeldern belegt. „Die neuen Erkenntnisse erweitern unsere Einblicke in die Kontrolle der Tunneldynamik in der Laserspektroskopie und Attosekundenphysik“, sagt Michael Klaiber, Theorieautor der Arbeit. Darüber hinaus dürfte dieser Mechanismus auch in vergleichbaren Szenarien ähnliche wesentliche Änderungen und Verzögerungen der Tunnelzeit im Bereich von Attosekunden hervorrufen, die z. B. die Dynamik von Molekülen, Festkörpern und sogar Hochenergie-Tunnel-Quantendanymik in starken Feldern verändern.
Original publication:
Unveiling under-the-barrier electron dynamics in strong field tunneling
Tsendsuren Khurelbaatar, Michael Klaiber, Suren Sukiasyan, Karen Z. Hatsagortsyan, Christoph H. Keitel, and Dong Eon Kim
Physical Review Letters 134, 213201 (2025). DOI: 10.1103/PhysRevLett.134.213201
Weblinks:
[1] Sub-barrier pathways to Freeman resonances, Phys. Rev. A 102, 053105 (2020)
Gruppe „Relativistic and Ultrashort Quantum Dynamics“ (Abteilung Keitel) am MPIK
Center for Attosecond Science and Technology, Pohang University of Science and Technology, Korea