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XENONnT misst erstmals Kernrückstoß-Signale von Sonnen-Neutrinos

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/ via Max-Planck-Institut für Kernphysik Heidelberg /

Seit langem wurde vorhergesagt, dass Dunkle-Materie-Detektoren wie das XENONnT-Experiment auch Sonnenneutrinos beobachten können. Diese Neutrinos, das sind die leichtesten bekannten Elementarteilchen überhaupt, entstehen in Kernprozessen im Sonneninneren und strömen ungehindert bis zur Erde. Der Nachweismechanismus für diese extrem schwach wechselwirkenden Neutrinos aus dem Zerfall von Bor-8 und für Dunkle Materie ist dabei der gleiche: Die Teilchen reagieren gleichzeitig (kohärent) mit dem gesamten Xenon-Atomkern. Dieser erfährt dabei einen Kernrückstoß, welcher ein niederenergetisches Signal erzeugt. Da solche Reaktionen zudem sehr selten sind, werden zur Messung extrem empfindliche Detektoren benötigt. Diese müssen einen großen Datensatz, eine geringe Energieschwelle sowie einen sehr niedrigen Untergrund an Störsignalen aufweisen.

XENONnT ist eines der weltgrößten und empfindlichsten Experimente zur direkten Suche nach dunkler Materie. Es befindet sich tief unter der Erde im INFN Laboratori Nazionali del Gran Sasso (LNGS) in Italien. Das LNGS ist ein großes Untergrundlabor für Teilchen- und Astrophysik und bietet eine einzigartige Umgebung, in der die kosmische Strahlung durch das abschirmende Gestein erheblich reduziert wird. Der Betrieb immer empfindlicherer Experimente im Rahmen des XENON-Programms am LNGS war entscheidend für den Erfolg der nun vorgestellten Messung.

Der zentrale Detektor von XENONnT nutzt 5,9 Tonnen hochreines, flüssiges Xenon als Detektionsmedium. Teilchenwechselwirkungen im Xenon erzeugen Lichtsignale, die mit hochempfindlichen Sensoren nachgewiesen werden. Um solch extrem seltenen Ereignisse wie den jetzt vorgestellten Neutrinonachweis messen zu können, besteht das XENONnT-Experiment aus mehreren modernsten Teilsystemen.Dazu gehören etwa kryogene Anlagen, um das flüssige Xenon auf der erforderlichen Temperatur von -100°C zu halten, sowie innovative Kontroll- und Datenerfassungssysteme. Weitere Systeme verringern die verbleibenden Störsignale auf ein bislang unerreichtes Niveau: Zwei kryogene Destillationsanlagen entfernen kleinste Spuren von im Xenon vorkommenden radioaktiven Elementen, und ein mit 700 Tonnen Wasser gefüllter Tank umgibt den Detektor, um über den Cherenkov-Effekt den von Neutronen- und Myonen-induzierten Untergrund weiter zu reduzieren.

Hochenergetische Neutrinos von der Sonne wechselwirken mit den Xenon-Atomkernen in XENONnT durch kohärente elastische Neutrino-Kern-Streuung (CEνNS). Dieser erstmals 1974 vorhergesagte Prozess blieb aufgrund der sehr niedrigen Kernrückstoßenergie und der geringen Wechselwirkungsrate der Neutrinos lange unbeobachtet. Erst 2017 gelang es dem COHERENT-Experiment, CEνNS mit Neutrinos aus einer künstlichen Neutrinoquelle zu beobachten. Nun ist XENONnT das erste Experiment, das CEνNS von Neutrinos aus der Sonne nachgewiesen hat. Damit reiht sich XENONnT ein in die Liste berühmter Sonnenneutrino-Experimente wie etwa SNO, Borexino, oder SuperKamiokande, die aber typischerweise 10-500-mal größer sind.

Für das heute präsentierte Ergebnis wurden Daten von XENONnT verwendet, die über einen Zeitraum von zwei Jahren, vom 7. Juli 2021 bis zum 8. August 2023, gesammelt wurden. Dabei wurde ein Überschuss an niederenergetischen Kern-Rückstoßereignissen gegenüber dem erwarteten Untergrund gemessen, der mit dem vorhergesagten Signal von solaren Bor-8-Neutrinos vereinbar ist. Die statistische Signifikanz beträgt 2,7 Sigma. Dies bedeutet, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem Ergebnis um eine zufällige Untergrund-Fluktuation handelt, nur 0,35% beträgt. Das Ergebnis wurde in einer blinden Analyse erzielt: Um mögliche menschliche Einflussnahme zu vermeiden, blieb der eigentliche Signalbereich den Forschenden verborgen, bis die Analyse fertiggestellt war.

Diese erste Messung der kohärenten elastischen Neutrino-Kern-Streuung mittels einer astrophysikalischen Neutrinoquelle bestätigt gleichzeitig das hervorragende Verständnis von Signalen kleinster Energie im XENONnT Detektor. Darüber hinaus eröffnet das Ergebnis ein neues Kapitel für die direkte Suche nach Dunkler Materie: XENONnT hat jetzt begonnen, den sogenannten „Neutrino-Nebel“ zu erforschen, in dem die extrem seltenen Neutrino-Wechselwirkungen erheblich zum Untergrund der Dunkle-Materie-Suche beitragen. Da XENONnT weiterhin Daten sammelt, freut sich die Kollaboration auf weitere Entdeckungen.

Aus dem deutschsprachigen Raum sind das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, die Universitäten Freiburg, Mainz und Münster, das Karlsruhe Institut für Technologie und die Universität Zürich an XENONnT beteiligt. Alle an XENONnT beteiligten Gruppen leisten wichtige Beiträge zum Experiment. Die MPIK-Gruppe ist dabei spezialisiert auf die Entwicklung und Tests der Lichtsensoren sowie die Messung und Unterdrückung des radioaktiven Untergrunds, der für die Suche nach so schwachen Signalen unerlässlich ist. Außerdem waren wir maßgeblich an der komplexen statistische Analyse beteiligt, die für die Messung der solaren Neutrinos nötig ist und die ein hervorragendes Detektor-Verständnis erfordert.

Weitere Informationen über das XENONnT Experiment finden Sie auf der offiziellen XENON-Website (s.u.) oder direkt bei der Kollaboration.


Weblinks:

Webseite der XENON-Kollaboration

XENON am MPIK (Abteilung Lindner)


XENONnT-Top-Array.jpeg
Blick durch den XENONnT-Detektor auf die Lichtsensoren am oberen Detektorende.
Quelle: XENON-Kollaboration.

Quelle

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