Im Portrait: PD Dr. Nadia Primc
/ via universitätsklinikum heidelberg /
Nadia Primc studierte Philosophie und Ethnologie an der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, im Hauptstudium mit den Schwerpunkten in der Erkenntnistheorie und der kognitiven Ethnologie. Ihre Promotion im Fachbereich der Wissenschaftsphilosophie absolvierte sie gleichzeitig an der Université du Luxembourg und der Universität Heidelberg im Rahmen eines binationalen Promotionsverfahrens (cotutelle de thèse). Im Juni 2024 hat sie ihre Habilitation an der Medizinischen Fakultät Heidelberg mit der venia legendi für das Fach „Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin“ erfolgreich abgeschlossen.
Primc hat bereits während ihres Studiums ein Interesse an interdisziplinären Forschungsfragen entwickelt, die jenseits der disziplinären Grenzen zwischen den „humanities“ (Geistes-, Sozial-, und Kulturwissenschaften) sowie den Natur- und Lebenswissenschaften angesiedelt sind. „Ein Stipendium hat mir während meiner Promotion die notwendige Freiheit gegeben, dieses Interesse zu vertiefen und eigene Forschungsschwerpunkte zu entwickeln“, erinnert sich Nadia Primc.
Ein vom Heidelberger Marsilius-Kolleg – das sich der Förderung neuer Formen interdisziplinärer Forschung an der Universität Heidelberg verschrieben hat – gefördertes Forschungsprojekt, brachte Primc an die Medizinische Fakultät und damit in das interdisziplinäre Fachgebiet der Medizinethik. „Gemeinsam mit Gastroenterologen des UKHD und Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftlern der Juristischen Fakultät Heidelberg haben wir uns in einem interdisziplinären Projekt mit Fragen der Gerechtigkeit bei der Verteilung von postmortalen Spenderlebern beschäftigt“, erzählt Primc.
Knappe Ressourcen und Gerechtigkeit als ein Forschungsschwerpunkt
Das Thema der Gerechtigkeit und des Umgangs mit knappen Ressourcen hat auch im weiteren Verlauf einen wichtigen Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit dargestellt. Ihr Habilitationsprojekt hat sich mit Fragen der Gerechtigkeit am Beispiel der Organallokation und des Umgangs mit knappen pflegerischen Ressourcen im Gesundheitswesen beschäftigt. Zu ihren weiteren Forschungsschwerpunkten gehören u. a. ethische Fragen der Digitalisierung und des Einsatzes von KI in der Gesundheitsversorgung. „Auch im Bereich der Digitalisierung spielen Diversitäts- und Gerechtigkeitsaspekte eine wichtige Rolle. Digitalisierung kann den Zugang zu Gesundheitsleistungen gerechter gestalten, zugleich aber auch neue Ungleichheiten schaffen oder bestehende Ungleichheiten verstärken.“
Seit 2014 koordiniert Nadia Primc am Institut für Geschichte und Ethik der Medizin den Fachbereich der Medizinethik in Forschung und Lehre. Sie ist Mitglied des Klinischen Ethik-Komitees am Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) und der Ethik-Kommission der Landesärztekammer Baden-Württemberg. Beide Gremien zeichnen sich durch die interdisziplinäre Ausrichtung und Zusammenarbeit aus. „Eine gute Gesundheitsversorgung bedarf der Integration unterschiedlicher disziplinärer Perspektiven in der Versorgung und der Forschung, ebenso wie der Berücksichtigung von Diversitätsaspekten.“
Engagement für Gender- und Geschlechteraspekte in der Medizin
Als Teil des „Netzwerk Gendermedizin Heidelberg“ engagiert sich Primc für die stärkere Integration von Gender- und Geschlechteraspekten in der medizinischen Forschung und Lehre. Das Netzwerk vereinigt Forschende der Medizinischen Fakultät Heidelberg, des UKHD, des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) und des Europäischen Laboratoriums für Molekularbiologie (EMBL), die sich in dem eigenen Fachgebiet mit gender- und geschlechtersensiblen Aspekten beschäftigen. „Wir freuen uns, dass wir am 29. November 2024 das erste internationale Symposium unseres Netzwerks am UKHD zu diesem sehr wichtigen Thema auf die Beine stellen konnten“. Unter dem Titel „Bridging Disciplines: Advancing Sex and Gender-Related Research in Biomedicine“ lud das Netzwerk interessierte Klinikerinnen und Kliniker sowie Forschende ein, sich mit der Frage einer gelungenen Integration von Geschlechter- und Genderaspekten in der biomedizinischen Forschung und Lehre zu beschäftigen.
Vernetzung hilfreich
Im Verlauf ihrer wissenschaftlichen Karriere hat Nadia Primc vor allem die Vernetzung mit anderen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern über einzelne Arbeitsgruppen und Forschungsinstitutionen hinweg als sehr hilfreich empfunden. „Gerade in frühen akademischen Karrierephasen fällt es einem als junge Wissenschaftlerin bisweilen schwer, sich in dem sehr fordernden und von strukturellen Abhängigkeiten geprägten Wissenschaftssystem abzugrenzen und faire, mit der eigenen Lebensplanung vereinbare Arbeits- und Forschungsbedingungen einzufordern.“
Primc rät Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen dazu, sich innerhalb der eigenen Fachgesellschaften in Form von Netzwerken oder Arbeitsgruppen zusammenzuschließen. „Ich habe mich als Teil des Koordinationsteams viele Jahre innerhalb unserer Fachgesellschaft in einem entsprechenden Netzwerk engagiert. Unser Ziel war es, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in frühen Karrierephasen einen geschützten Raum zum gegenseitigen Austausch und zur Unterstützung durch Peers zu bieten. Zugleich wurde hierdurch aber auch innerhalb der Fachgesellschaft die Stellung der Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler gestärkt, indem ihre eigenständigen Forschungsbeiträge sichtbar gemacht wurden.“ Zudem können derartige Netzwerke dabei helfen, Mentorinnen und Mentoren aus fortgeschritteneren Karrierephasen an jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu vermitteln.
Gleichstellungsaspekte in der Wissenschaft betreffen laut Primc aber nicht nur Fragen des Geschlechts, sondern auch des sozio-kulturellen Hintergrundes oder gesundheitlicher Beeinträchtigungen. „Wer – wie ich – als ‚FirstGen‘ selbst keinen sozialen akademischen Hintergrund mitbringt, tut sich insbesondere in der Post-Doc-Phase, bei der das eigenständige Vernetzen und Initiieren von wissenschaftlichen Kooperationen eine große Rolle spielt, bisweilen schwerer als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus Akademikerfamilien stammen.“ Auch hier kann laut Primc das Peer-Mentoring dabei helfen, Hürden abzubauen.
Die Förderung von Diversitäts- und Gleichstellungsaspekten stellt hierbei keinen Selbstzweck dar. „Eine gerechte Gesundheitsversorgung ist auf die Integration derartiger Perspektiven angewiesen“, so Nadia Primc. „Indem wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit diversen Hintergründen fördern, stellen wir sicher, dass Diversitäts- und Gleichstellungsaspekte auch zukünftig in der medizinischen Forschung, Versorgung und Lehre hinreichend beachtet werden.“
Die Gleichstellungskommission schätzt Nadia Primc sehr als überaus engagierte Kollegin, die zeigt, wie Medizinethik verschiedenste Forschungsgebiete in Netzwerken und Kooperationen verbinden kann und zusätzlich noch Diversitäts- und Gleichstellungsaspekten in Forschung und Lehre integriert.