Impfung gegen Gürtelrose könnte das Risiko, an Demenz zu erkranken senken – vor allem bei Frauen!
/ via universitätsklinikum heidelberg /
Gürtelrose tritt meist erst in höherem Lebensalter auf und wird durch dasselbe Virus verursacht wie die Windpocken: Varizella-Zoster. Nach der Ansteckung mit Windpocken, meist in der Kindheit, versteckt sich das Virus lebenslang in den Nervenzellen. Bei Menschen, die älter sind oder ein geschwächtes Immunsystem haben, kann das ruhende Virus wieder aktiv werden und eine schmerzhafte Gürtelrose auslösen.
Von Demenz sind weltweit mehr als 55 Millionen Menschen betroffen, jedes Jahr treten schätzungsweise 10 Millionen neue Fälle auf. Die Demenzforschung hat sich insbesondere auf Eiweißablagerungen im Gehirn von Menschen mit Alzheimer, der häufigsten Form der Demenz, konzentriert. Einige Forscher suchen nach anderen Ursachen – einschließlich der Rolle bestimmter Virusinfektionen.
Zufälliger oder ursächlicher Zusammenhang?
Seit etwa 20 Jahren existiert eine Impfung gegen die Gürtelrose, die Menschen über 60 Jahren empfohlen wird. Schon in früheren Studien fiel auf, dass gegen Gürtelrose geimpfte Personen seltener an Demenz erkrankten. Allerdings konnten diese Studien nicht sicher ausschließen, dass die niedrigere Rate möglicherweise darauf zurückzuführen war, dass sich Menschen, die sich impfen ließen, auch ansonsten gesundheitsbewusster verhielten. Denn zum Beispiel beeinflussen die Ernährung oder Bewegung die Demenzrate, sie werden jedoch in Studien normalerweise nicht abgefragt. Es war daher nicht klar, ob die geringere Demenzrate bei gegen Gürtelrose Geimpften eine zufällige Korrelation oder ein tatsächlicher ursächlicher Zusammenhang war.
Impfprogramm in Wales als natürliches Experiment
Vor zwei Jahren entdeckte Dr. Min Xie, Wissenschaftler am Heidelberg Institute of Global Health (HIGH) ein „natürliches Experiment“ in Wales. „In Wales begann am 1. September 2013 ein Impfprogramm, bei dem jeder, der zu diesem Zeitpunkt 79 Jahre alt war, ein Jahr lang Anspruch auf den Impfstoff gegen Gürtelrose hatte. Personen, die 78 Jahre alt waren, hatten im nächsten Jahr ein Jahr lang Anspruch darauf usw. Menschen, die am 1. September 2013 80 Jahre oder älter waren, hatten Pech – sie hatten keinen Anspruch auf den Impfstoff.“
Diese Regel hatte vor allem das Ziel, den begrenzten Vorrat an Impfstoff zu rationieren. Gleichzeitig ermöglichte sie, die Wirkung des Impfstoffs isoliert zu betrachten. Denn von den 79-jährigen Walisern, die ihren 80. Geburtstag lediglich eine Woche nach dem Startdatum des Impfprogramms hatten, ließen sich fast 50% gegen Gürtelrose impfen, von den 80-jährigen, die ihren 80. Geburtstag eine Woche vor dem Startdatum hatten, fast niemand.
Dabei unterschieden sich die beiden Kohorten lediglich um eine Woche im Alter und sind daher in allen Gesundheits- und Verhaltenscharakteristiken vergleichbar. „Wir erkannten, dass wir dadurch die Möglichkeit haben, eine kausale Beziehung zwischen dem Impfstoff und Demenz zu identifizieren“, sagt Dr. Markus Eyting, Wissenschaftler an der JGU Mainz und dem SAFE Leibniz Institut in Frankfurt und ebenfalls Erstautor der Studie. „Diese Umstände kamen einer randomisierten kontrollierten Studie so nahe wie möglich, ohne dass wir eine solche durchführen mussten“, sagt Professor Pascal Geldsetzer, der Letztautor und Studienleiter, der seine Doktorarbeit und eine Postdoc-Phase bei dem heutigen Direktor des HIGH in Heidelberg absolvierte, bevor er nach Stanford an der Westküste der USA wechselte, wo er derzeit eine Assistenzprofessur für Medizin innehat.
Weniger Demenzfälle bei Geimpften
Die beiden Erstautoren dieser Studie, Min Xie und Markus Eyting, untersuchten zusammen mit Simon Heß von der Wirtschaftsuniversität Wien daraufhin die Gesundheitsdaten von mehr als 280.000 älteren Erwachsenen aus Wales, die zu Beginn des Impfprogramms zwischen 71 und 88 Jahre alt waren und nicht an Demenz litten. Sie konzentrierten sich bei ihrer Analyse auf Personen, die kurz vor und kurz nach der Anspruchsgrenze geboren wurden.
„In den Wirtschaftswissenschaften ist diese Methode, das so genannte Regressions-Diskontinuitäts-Design, als kausales Studiendesign gut etabliert und weit verbreitet, so dass wir eine Möglichkeit sahen, sie auf unseren umfangreichen Datensatz anzuwenden“, erklärt der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Min Xie.
Min Xie und Markus Eyting analysierten, dass der Impfstoff das Auftreten der Gürtelrose bei den Geimpften über einen Zeitraum von sieben Jahren um etwa 37 % senken könnte. „In dem siebenjährigen Nachbeobachtungszeitraum wurde bei mehr als einem von sechs älteren Erwachsenen, die nicht geimpft wurden, eine Demenz diagnostiziert. Im Gegensatz dazu entwickelte nur etwa einer von acht älteren Erwachsenen, die aufgrund ihrer Berechtigung die Gürtelroseimpfung erhielten, die Krankheit.“
In allen anderen Gesundheitsmerkmalen gleich
Die Wissenschaftler prüften die Gesundheitsdaten auf mögliche Faktoren, die ihre Analyse verfälschen könnten. Doch wie erwartet waren die Personen, die kurz vor dem Start des Programms ihren 80. Geburtstag feierten, in allen Merkmalen mit denen vergleichbar, die kurz danach 80 Jahre alt wurden. So gab es beispielsweise weder einen Unterschied im Bildungsniveau, bei der Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen oder in der Häufigkeit von anderen Volkskrankheiten wie Diabetes, Herzkrankheiten oder Krebs.
„Der einzige Unterschied zwischen den beiden Gruppen bestand im Rückgang der Demenzdiagnosen“, sagt Min Xie. „Aufgrund der besonderen Art und Weise, in der der Impfstoff eingeführt wurde, ist eine Verzerrung der Analyse sehr viel unwahrscheinlicher, als dies normalerweise der Fall wäre“, so Geldsetzer.
Schutz vor allem bei Frauen beobachtet
Ein wichtiges Ergebnis der Studie war, dass der Schutz vor Demenz durch die Impfung bei Frauen viel stärker zu seinen scheint als bei Männern. „Dieser Rückgang könnte möglicherweise auf geschlechtsspezifische Unterschiede in der Immunantwort zurückzuführen sein oder in der Art und Weise, wie sich Demenz entwickelt, so Geldsetzer. „Frauen haben im Durchschnitt eine stärkere Antikörperreaktion auf eine Impfung. Und wir wissen auch, dass sowohl Gürtelrose als auch Demenz bei Frauen häufiger vorkommt als bei Männern.“
Noch kein Wirkmechanismus bekannt
„Wir wissen im Moment noch nicht, wie der Impfstoff vor Demenz schützt“, sagt Geldsetzer. „Es könnte sein, dass er das Immunsystem insgesamt ankurbelt, dass er speziell verhindert, dass das schlummernde Varizella Zoster Virus reaktiviert wird, oder über einen ganz anderen Mechanismus funktioniert.“ Unbekannt ist auch, ob eine neuere Version des Impfstoffs, die nur bestimmte Proteine des Virus enthält und wirksamer vor Gürtelrose schützt, einen ähnlichen oder möglicherweise sogar größeren Schutz vor Demenz bietet. „Das möchten wir nun gern erforschen.“
In den vergangenen zwei Jahren hat das Team die Ergebnisse von Wales mit den Gesundheitsdaten anderer Länder, darunter England, Australien, Neuseeland und Kanada, die den Impfstoff in ähnlicher Weise eingeführt haben, wiederholt. „Wir sehen immer wieder dieses starke Schutzsignal für Demenz“, sagt Geldsetzer. „Das ist wirklich aufregend.“
Große, randomisierte Studie könnte Licht ins Dunkel bringen
Den endgültigen Beweis liefern könnte eine große randomisierte, kontrollierte Studie. Dabei würden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip entweder den Impfstoff gegen Gürtelrose oder ein Placebo erhalten. Und es würde vermutlich nicht lange dauern, bis eine solche Studie Ergebnisse vorweisen könnte. Bei den Daten aus Wales zeigten sich die Unterschiede in den Demenzraten der Teilnehmenden bereits nach etwa eineinhalb Jahren. Geldsetzer versucht momentan eine Finanzierung für solch‘ eine randomisierte Studie zu erhalten. Das Team möchte den Impfstoff, der in Wales verabreicht wurde, für diese Studie nutzen und nun nicht mehr in den USA und Europa produziert wird.
„Der Einsatz der quasi-experimentellenMethoden der Wirtschaftswissenschaften hat in unserem Bereich der globalen Gesundheit große Bedeutung – und führt zu wichtigen Ergebnissen, wie man im vorliegenden Fall der Gürtelroseimpfung deutlich sieht“, sagt Professor Till Bärnighausen, der Direktor des Heidelberger Institute of Global Health (HIGH). „Ich bin sehr gespannt auf weitere Studien aus diesem Bereich.“