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Molekulare Diagnostik könnte zielgerichtete Therapien ohne Zeitverzug ermöglichen

/ via universitätsklinikum heidelberg /

Glioblastome sind höchst aggressivste Hirntumoren, die invasiv in das gesamte Gehirn einwachsen. Sie sind bislang nicht heilbar. Eine intensive Behandlung bestehend aus Operation, Bestrahlung und Chemotherapie kann das Fortschreiten der Erkrankung um wenige Monate hinauszögern. Bei rund zwei Drittel der Patientinnen und Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom schlägt die Standard-Chemotherapie mit dem Wirkstoff „Temozolomid“ jedoch nicht an – die Tumoren sind aufgrund genetischer Veränderungen resistent gegen dieses Medikament. Für diese Gruppe von Patientinnen und Patienten mit einer mittleren Überlebenszeit von rund zwölf Monaten werden dringend neue Therapieoptionen benötigt.  

Präzisionsmedizin statt Einheitsbehandlung

Neue Perspektiven zeigt die aktuell veröffentlichte Studie aus Heidelberg auf: In der multizentrischen Phase1/2-Studie „NCT Neuro Master Match (N2M2)“ untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), des NCT Heidelberg und des DKFZ die Wirksamkeit von Medikamenten, die sich jeweils gezielt gegen eine bestimmte molekulare Eigenschaft von Tumorzellen richten. Zur Auswahl standen Medikamente, die bereits zur Behandlung anderer Krebsarten zugelassen sind, und Medikamente ohne Zulassung, so dass insgesamt acht Therapiegruppen gebildet werden konnten. In die Studie wurden 228 Patientinnen und Patienten mit neu diagnostizierten Glioblastomen aufgenommen, deren Tumoren molekulare Marker für eine Temozolomid-Resistenz aufwiesen. 

Schnelle und präzise Entscheidungen dank Molekularem Tumorboard 

Vor Beginn der kombinierten Strahlen-Chemotherapie standen umfassende molekulare und genetische Analysen des Tumor-Erbguts des bei der Operation entnommenen Gewebes an. Die Ergebnisse lagen im Mittel innerhalb von 26 Tagen und damit vor dem geplanten Therapiebeginn vor. Das Molekulare Tumorboard, eine wöchentlich tagende, interdisziplinäre Fallkonferenz mit Expertinnen und Experten für (Neuro)Onkologie, Radiotherapie, (Neuro)Pathologie, Molekulargenetik und (Neuro)Chirurgie, bewertete die Ergebnisse und wählte für die Teilnehmenden das jeweils am besten passende Medikament aus. So erhielten zum Beispiel Patientinnen und Patienten mit einem überaktivierten mTOR-Signalweg den Inhibitor Temsirolimus, der diesen Signalweg blockiert und damit das Tumorwachstum verlangsamen kann. Patientinnen und Patienten ohne klare molekulare Marker wurden zufällig einer von drei Gruppen zugeteilt, die entweder eine Immuntherapie (Atezolizumab oder Asunercept) oder die Standardtherapie mit Temozolomid erhielten. Alle Teilnehmenden bekamen außerdem eine Strahlentherapie. 

Temsirolimus wirkte sich positiv auf progressionsfreie Zeit und Überleben aus 

Die Verabreichung des Wirkstoffs „Temsirolimus“ führte zu positiven Ergebnissen: Bei 39,1 Prozent der 46 Patientinnen und Patienten der Temsirolimus-Gruppe schritt die Erkrankung mindestens sechs Monate lang nicht weiter fort. Zum Vergleich: In der 54-köpfigen Gruppe mit Standardtherapie lag die Rate des progressionsfreien Überlebens nach sechs Monaten bei 18,5 Prozent. Auch die mittlere Überlebenszeit war mit 15 Monaten etwa drei Monate länger als bei den Patientinnen und Patienten mit Standardtherapie. Bei diesen Teilnehmenden mit eindeutiger Resistenz gegenüber Temozolomid erzielte die Standardtherapie keinen zusätzlichen Effekt jenseits der Wirkung der Strahlentherapie.

„Auch wenn die Betroffenen mit Temsirolimus nur wenige Monate gewinnen, ist das bei dieser Patientengruppe, für die wir bisher noch keine wirksame Therapie haben, ein großer Fortschritt. Vor allem der Zugewinn an progressionsfreier Zeit kann die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten spürbar verbessern“, sagt der Erstautor der Studie Prof. Dr. Wolfgang Wick, Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, Geschäftsführender Direktor der Neurologischen Klinik am UKHD sowie Leiter einer Klinischen Kooperationseinheit „Neuroonkologie“ an DKFZ und UKHD. „Es lohnt sich auf jeden Fall, diesen Therapieansatz weiter zu verfolgen.“ Temsirolimus ist bereits für die Therapie anderer Krebsarten mit aktiviertem mTOR-Signalweg zugelassen, zum Beispiel fortgeschrittenem Nierenkrebs.

Präzisionsmedizinische Behandlung in der Ersttherapie von Glioblastomen ist praktisch umsetzbar

Zwar zeigten andere Medikamente in dieser Studie keine Vorteile. Dennoch lieferten die Ergebnisse wertvolle Hinweise für die zukünftige Forschung: „Bisher gab es wenig Möglichkeiten, potentielle Wirkstoffkandidaten schnell auszuschließen. Mit diesem mehrgleisigen Studiendesign können wir mehrere Kandidaten gleichzeitig, effizient und ohne großen Aufwand testen. Es warten noch mehr als 100 mögliche Medikamente darauf, auf ihre Wirksamkeit gegen Glioblastome getestet zu werden“, sagt Seniorautor Privatdozent Dr. Tobias Kessler, Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg, Oberarzt der Neurologischen Klinik des UKHD sowie Wissenschaftler der Klinischen Kooperationseinheit „Neuroonkologie“.

„Mit der N2M2-Studie haben wir gezeigt, dass eine präzisionsmedizinische Behandlung in der Ersttherapie von Glioblastomen praktisch umsetzbar ist – ohne Verzögerung der notwendigen Strahlentherapie. Ziel muss es nun sein, Temsirolimus und ähnlich zielgerichtete Wirkstoffe möglicherweise als Standardtherapie bei neu diagnostiziertem Glioblastom zu etablieren. Aufgrund der prekären Situation der Betroffenen, bei denen die Temozolomid-Therapie nicht wirkt, werden wir versuchen, für diese Patientengruppe eine frühzeitige molekular basierte Therapie zu erreichen,“ so Prof. Wick.

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