Warum schwangere Ärztinnen in Baden-Württemberg jetzt operieren dürfen
/ via universitätsklinikum heidelberg /
Bisher war in Baden-Württemberg für schwangere Ärztinnen das Operieren in der Regel nicht möglich – mit der Folge, dass nach der Bekanntgabe der Schwangerschaft entweder die Weiterbildung oder die originäre chirurgische Tätigkeit unterbrochen werden musste. Dabei fordern schwangere Chirurginnen spätestens seit 2015 und der Veröffentlichung des Positionspapiers „Operieren in der Schwangerschaft“ Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt.
Diese Regelung ändert sich nun, da die vier Fachgruppen Mutterschutz der Regierungspräsidien Baden-Württembergs – Stuttgart, Freiburg, Tübingen, Karlsruhe – in wesentlichen Punkten von ihrer ursprünglichen ablehnenden Haltung Abstand genommen haben. Bis zum Einlenken der Fachgruppen war allerdings viel Überzeugungsarbeit notwendig. Maßgeblich daran beteiligt war Dr. Sabine Ewerbeck, Stellvertretende Leiterin des Betriebsärztlichen Dienstes am UKHD. Wir haben uns mit ihr und mit Dr. Lara Jacklin, einer Assistenzärztin am UKHD, die von der neuen Regelung profitiert, unterhalten.
Frau Dr. Ewerbeck, wieso war denn bis vor kurzem in Baden-Württemberg für schwangere Ärztinnen das Operieren nicht möglich und welche Folgen hat das gehabt?
Mutterschutz ist in Deutschland bisher Ländersache. Während in vielen Bundesländern für schwangere Ärztinnen das Operieren nach individueller Gefährdungsbeurteilung möglich ist, hatten die Fachgruppen Mutterschutz der Regierungspräsidien Baden- Württembergs diesbezüglich eine ablehnende Haltung. Begründet wurde dies mit dem erhöhten Infektionsrisiko für Hepatitis B, C und HIV, dem die Schwangere durch den Umgang mit potentiell kontaminierten spitzen und scharfen Gegenständen ausgesetzt sei. Dies hat u.a. dazu geführt, dass viele Betroffene ihre Schwangerschaft dem Arbeitgeber verschwiegen haben, um die für den OP-Katalog erforderlichen Operationen weiter erfüllen zu können und die Weiterbildung nicht zu unterbrechen bzw. hinauszuzögern.
Und wie kam es dann, dass der Passus in Baden-Württemberg jetzt gekippt wurde?
Schon seit längerer Zeit bin ich in verschiedenen Arbeitsgruppen aktiv, insbesondere im Ausschuss für Mutterschutz (AfMu), der nach 2018 gemäß novelliertem Mutterschutzgesetz gegründet wurde. Die Aufgabe dieses Ausschusses ist es, arbeitsmedizinische Regeln zu erstellen, die dann deutschlandweit gelten. Eines meiner besonderen Anliegen ist dabei schon seit vielen Jahren das Thema „Operieren in der Schwangerschaft“. Im Juli letzten Jahres wurde ich zur jährlichen Sitzung der Regierungspräsidien Baden- Württembergs eingeladen, um einen Vortrag zum Thema „Mutterschutz im Krankenhaus und Operieren in der Schwangerschaft“ zu halten. Ich konnte u.a. darlegen, dass nach aktueller Datenlage aus fachlicher Sicht die Begründung eines erhöhten Infektionsrisikos für schwangere Chirurginnen so nicht mehr haltbar ist. Dies zeigen die Meldezahlen der anerkannten Berufskrankheiten in Deutschland im Hinblick auf Hepatitis B, C und HIV sowie die Tatsache, dass es in den letzten 15 Jahren am UKHD zu keiner Übertragung von Hepatitis B, Hepatitis C oder HIV im Rahmen einer Nadelstichverletzung gekommen ist. Am Ende dieser Tagung haben die Fachgruppen entschieden, den Passus für Schwangere ´keine Tätigkeit mit potentiell kontaminierten spitzen und scharfen Gegenständen´ unter bestimmten Voraussetzungen aufzuheben. Ich war natürlich positiv überrascht und konnte es kaum fassen.
Frau Dr. Jacklin, Sie arbeiten in der Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie. Warum haben Sie sich dafür entschieden, in der Schwangerschaft selbst das Skalpell zu ergreifen?
Ich bin der Meinung, es sollte jeder Ärztin selbst überlassen sein, welche beruflichen Aufgaben sie in der Schwangerschaft ausüben möchte. Es ist sehr erfreulich, dass den Ärztinnen in Baden-Württemberg nun die Kompetenz zugesprochen wird, unter Berücksichtigung ihrer individuellen Situation über ihre körperliche Leistungsfähigkeit und berufliche Belastbarkeit zu entscheiden. Da ich als angehende Fachärztin für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie das Studium der Zahn- und Humanmedizin absolvieren muss und somit eine lange universitäre Ausbildung durchlaufe, bin ich um jede Möglichkeit froh, meine praktische Ausbildungszeit nicht zusätzlich verlängern zu müssen. Für mich stand daher außer Frage, ob ich in der Schwangerschaft zum Skalpell greifen möchte oder nicht.
Frau Dr. Ewerbeck, Sie haben es bereits angesprochen: Das Operieren in der Schwangerschaft ist an bestimmte Bedingungen gebunden. Welche sind das?
Grundvoraussetzung hierfür ist die Zustimmung der Ärztlichen Leitung der jeweiligen Klinik und der Wunsch der Schwangeren, weiter operativ tätig sein zu wollen. Im Vorfeld muss eine individuelle Gefährdungsbeurteilung von der Schwangeren gemeinsam mit ihrem Vorgesetzten erstellt werden. Der Betriebsärztliche Dienst unterstützt und berät sie hierbei. Wichtig ist auch, dass bei dem zu operierenden Patienten ein verpflichtendes präoperatives Screening für Hepatitis C und HIV stattfindet. Weitere Voraussetzungen betreffen die direkten meist organisatorischen Begebenheiten im OP-Saal.
Frau Dr. Jacklin, welche Erfahrungen haben Sie bisher gemacht, seit Sie als Schwangere im OP stehen?
Durch die Prüfungsphase in meinem Zweitstudium hatte ich bisher keine Gelegenheit, als Schwangere im OP zu stehen. Ich bin zuversichtlich, dass ich über das nötige Wissen als auch die Erfahrung verfüge, fundierte Entscheidungen zu treffen, um meine Leistungsfähigkeit sowie das eigene Infektionsrisiko selbst kompetent einzuschätzen. Meine Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich gesprochen habe, finden den Schritt richtig und können ihn absolut nachvollziehen. Insofern freue ich mich darauf, diese neue Möglichkeit bald selbst zu nutzen.
Frau Dr. Ewerbeck, vielen schwangeren Ärztinnen gerade in der Chirurgie geht die Neuregelung nicht weit genug. Warum ist das so und was sagen Sie diesen Ärztinnen?
Das Mutterschutzgesetz bleibt weiterhin prinzipiell gültig und geht immer einher mit Einschränkungen der Tätigkeit im Klinikalltag. Darüber kann sich der Arbeitgeber nicht hinweg setzten. Beispielsweise betrifft dies die Art der Narkose. Bestimmte Narkosegase dürfen derzeit nicht zum Einsatz kommen, sobald eine schwangere Operateurin mit am Tisch steht. Erlaubt sind ausschließlich totale intravenöse Anästhesien (TIVA), Regionalverfahren oder Lokalanästhesie. In manchen Fachbereichen in der Chirurgischen Klinik, z.B. in der Viszeralchirurgie, wird die Anästhesie allerdings vorwiegend mit Narkosegasen durchgeführt, so dass schwangere Chirurginnen leider hier nur eingeschränkt tätig sein können. Die Enttäuschung darüber kann ich gut verstehen. Allerdings stehen wir erst am Anfang einer Entwicklung in die richtige Richtung. Und gerade zu diesem Thema wird es bald eine Änderung geben: Vom Ausschuss für Mutterschutz wurde eine Neuerung beschlossen, der die Tätigkeit von schwangeren Frauen mit Inhalationsnarkotika wie Isofluran, Desfluran und Sevofluran regelt: Der Umgang mit Narkosegasen wird dann unter bestimmten Voraussetzungen möglich sein. Diese Regel muss aber erst noch veröffentlicht werden, damit die Tätigkeit möglich wird. Ich plaudere hier also ein wenig aus dem Nähkästchen. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse werden in der Zukunft sicher zu weiteren Verbesserungen für Ärztinnen, die operativ tätig sein möchten, führen.