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Wenn das Herz streikt

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Notizen eines Notfallpatienten aus der kardiologischen Intensivstation der Uniklinik Heidelberg

/ via Joseph Weisbrod /

21. März. Frühlingsanfang. 22.00 Uhr. Auf der Couch. Meine Brust fühlt sich an wie in einen Schraubstock gepresst. Vor Atemnot schnappe ich nach Luft. Die 112 wählen? Ich hab’ doch morgen ohnehin einen Termin beim Kardiologen! Nach einer Viertelstunde schwindet der heftige Druckschmerz. Und damit der Entscheidungsdruck für den fälligen Notruf. Die Nacht vergeht ohne weiteren Anfall.

Nächster Vormittag, Ärztehaus Hirschberg. Die Kardiologin Dr. Melanie Schüler erkennt nach einem Schnelltest sofort den Ernst meiner Lage und alarmiert den Rettungsdienst. Verdacht auf akuten Herzinfarkt! Für den Gang zur Toilette lässt mir der Notarzt keine Zeit.

Nach einer rasanten Fahrt im Rettungswagen mit Blaulicht und Sirene Ankunft im Klinikum für Herzchirurgie in Heidelberg. Einer der Katheter-Säle ist bereits reserviert. Im Arztbrief steht später die Diagnose: „Kardiogener Schock. Myokardinfarkt. Schwere Dreigefäßerkrankung. Chronische Verschlüsse. Hochgradig eingeschränkte Pumpfunkion.“

Impella wird eine Woche lang meine Lebensversicherung!

Ich fühle mich gut aufgehoben, umgeben von einem fokussierten, trotzdem entspannten Team, bei dem jeder Handgriff, jedes Wort zu sitzen scheint. Eine Intensivpflegerin mit einfühlsamer Stimme: „Herr Weisbrod, wir legen Ihnen jetzt einen Blasenkatheter. “ Ein Arzt klärt mich auf: „Ihr Herz ist so schwach, dass Sie zur Unterstützung ein Herz-Lunge-System benötigen. Wir betäuben Sie lokal und implantieren in Ihrer Leiste einen Katheter, der diese Pumpe direkt mit der Herzkammer verbindet“. Impella, wie das Hightech-Gerät fast poetisch heißt, wird bis auf weiteres meine Lebensversicherung sein.

Auch der Anästhesist flößt mir erst Vertrauen und dann den Narkose-Cocktail ein. Der „notfallmäßige herzchirurgische Eingriff“ (Arztbrief) dauert über dreieinhalb Stunden. Dabei wird das Brustbein der Länge nach aufgetrennt. In der Operation am offenen Herzen wird mein krankes Zentralorgan mit drei Bypässen verstärkt, entnommen den Venen aus dem linken Bein.

Im Dämmerschlaf eine Art Halluzination. Ich liege nackt unter den grellen LED-Leuchten auf dem OP-Tisch. Das Operationsteam unterhält sich angeregt am Ende der “Bahre”. Eine Frau lacht. Ich existiere offenbar nicht mehr für die Lebenden. Die maskierten „Grünkittel“ entfernen den Tubus aus der Luftröhre und räumen gemächlich die OP-Instrumente ab. Ich bin gestorben. Mein Hilferuf bleibt ein stummer Schrei.

Exzellente OP-Crew rettet mir das Leben!

Nennt man das Nahtod-Erfahrung? Was für ein ungerechter, unfairer Albtraum! Diese exzellente Crew aus Herzchirurgen, Anästhesisten, Kardiotechnikern und Pflegekräften hat mir soeben das Leben gerettet! Wie ich erst am nächsten Morgen erfahre, haben sich während der Operation Angehörige vor dem Klinikum eingefunden.

Mein aus Berlin angereister Sohn hält den Kontakt mit der Herzchirurgie. Nach der ersten kritischen Nacht auf der Intensivstation die Entwarnung. Ich habe den schweren Eingriff auch dank meiner sportlichen Konstitution einigermaßen glimpflich überstanden.

Im multifunktionalen Intensivbett wird mir nach dem Aufwachen schnell klar, dass ich vorerst das bin, was man einen Pflegefall nennt. Eine menschliche Großbaustelle mit einer 50 cm langen Beinwunde und einer vertikalen, wie am Lineal gezogenen 20 cm-Naht über dem Brustkorb.

An der Leiste angedockt: Besagte Impella-Maschine. Am Hals der Zentrale Venenkatheter ZVK, über den das Herz auf dem kurzen Dienstweg medikamentös versorgt und der Venendruck kontrolliert wird. Außerdem: Diverse Drainagen und gefühlt 20 Schläuche mit Infusionen aller Art

Ich fühle mich hilfloser als ein Kleinkind!

Lebensnotwendiger „Total Control“: Wohl nirgends ist dieser TV-Serientitel so angebracht wie hier! Ich fühle mich hilfloser als ein Kleinkind. Nur nicht so beweglich. Selbst im Bett darf ich mich nicht frei bewegen. Mein rechtes Bein muss ständig gestreckt sein. Hier ist die Schnittstelle für den Herzkatheter, der mich mit Impella vernetzt. Liegen geht nur auf dem Rücken, nicht auf der Seite und schon gar nicht auf dem Bauch.

Nachts das künstliche Licht, das ewige Blinken und Piepen der Monitore, die Geräusche vom erleuchteten Flur, das leise Hantieren der unermüdlichen Nachtschwestern. Auf der Brust eine Handvoll Elektroden, verkabelt mit einem smartphoneartigen Computer, der rund um die Uhr Herzfrequenz und -rhythmus misst.

Rund um die Uhr Höchstleistungen der Intensiv-Pflegekräfte!

Der Tag auf der Intensivstation beginnt für Patienten spätestens um 6.00 Uhr und endet erst am späten Abend. Die Standards in alphabetischer Abfolge: Atemtherapie, Bettgymnastik, Blutabnahmen, Blutzucker, EKG, Essen (drei Mahlzeiten), Fiebermessen, Gewichtskontrolle, Heparin-Spritzen (gegen Thrombose), Körperhygiene, Medikamente (28 Tabletten!), Röntgen Lunge, Sauerstoff-Sättigung, Ultraschall Herz, Verbandswechsel etc.

Dabei hat der Patient in seinem offenen Flügelhemd außer dem Verlust der Privatsphäre und der Unabhängigkeit die leichtere, weil passivere Aufgabe. Denn die wahre Höchstleistung liefern rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb die bei allem Stress stets zugewandten Intensiv-Pflegekräfte, deren Vornamen – ob sie nun Anne, Chantal, Ingrid, Joann, Lena, Lisa, Maher oder Stefanie heißen – ich in dankbarer Erinnerung behalten werde.

Mahatma Gandhi-Zitat auf dem Stationsflur:
„Der Patient ist die wichtigste Person in diesem Krankenhaus.“

Viele von diesen Pflegeengeln hat Sandro Winkler selbst ausgebildet. Der empathische, gute Laune ausstrahlende Mittvierziger arbeitet seit 20 Jahren auf der Intensivstation der Uniklinik Heidelberg. Geradezu beseelt schwärmt der sympathische Mannheimer, dass es für ihn keinen schöneren, sinnvolleren Beruf gibt als den, den er schon sein halbes Leben lang leidenschaftlich ausübt. Das Flurzitat von Mahatma Gandhi scheint in der Herzchirurgie tatsächlich nicht nur eine Floskel zu sein: „Der Patient ist die wichtigste Person in diesem Krankenhaus.“

Da die Heidelberger Kardiologie unter der Leitung des Ärztlichen Direktors Prof. Dr. Matthias Karck mit rund 2.500 Operationen pro Jahr eine der führenden Herzkliniken in Deutschland und Europa ist, werden hier – alle paar Minuten starten und landen Rettungshubschrauber – Coronakranke aus dem ganzen Bundesgebiet, aber auch aus dem fernen Nahen Osten behandelt.

Die 16 Betten auf der kardiologischen Intensivstation sind voll belegt, wenn das mit Leasingkräften ergänzte Pflegepersonal dafür ausreicht. Da nimmt der durch einen Sichtschutz getrennte Patient gerne in Kauf, wenn das stundenlange Ringen der Ärzte und Pflegekräfte um das Überleben eines frisch eingelieferten Notfalls den so heilsamen nächtlichen Schlaf kostet.

Das Anliegen des Intensiv-Nachbar mit dem abgestoßenen Spenderherz: Sein flehentliches Plädoyer für die Organspende!

Tief beeindruckt mich mein letzter Intensivnachbar. Der 62jährige Pfälzer Martin Goller (Name geändert) erhielt vor etwa drei Jahren ein Spenderherz. Doch Abstoßreaktionen fesseln ihn ständig ans Bett. Auf der Intensivstation ist er Dauergast. Mit bewundernswerter Haltung versucht der stattliche Mann, mit Hilfe seiner Familie das Beste aus seinem radikal eingeschränkten Leben zu machen. Er fühlt sich als Gefangener in seinem Körper.

Atmen, essen, trinken, (meist schlecht), schlafen sind die Grundbedürfnisse, die es tagtäglich zu befriedigen gilt. Martin sagt mit ruhiger Stimme: „Herzversagen, Lungenversagen, Nierenversagen. Ich weiß, dass ich jederzeit sterben kann!“‘. Sein wichtigstes Anliegen: Das Werben für die Organspende, sprich: die z. B. in Österreich, Polen und Spanien erfolgreich praktizierte Widerspruchslösung!

Nach sieben Tagen striktem Bed-In wird mein Herz von Impella (grazie!) abgekoppelt und ich auf die Normalstation verlegt. Was für ein Gefühl, dass meine gute alte Pumpe wie 69 Jahre zuvor wieder ohne Hightech-Maschine läuft und läuft und läuft!

Nach der Entlassung steht die Anschlussheilbehandlung in der Rehaklinik an. Danach beginnt die Rückkehr in mein „normales“ Leben, das kurz vor meinem Geburtstag fast ein jähes Ende gefunden hätte. Daher mein Notruf an alle: Bei Brustdruck, Atemnot und anderen verdächtigen Symptomen sofort die 112 wählen!

Joseph Weisbrod

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